Vergeltung
auf den Lippen hatte, reagierte
kaum, als sie ihn grüßte. Sie fand Susanne im Besprechungsraum, die ihr
erzählte, dass Teit Jørgensen außer sich sei. Es gab noch immer keine Spur von
Anna Jelager, und die Bürger der Stadt, die Presse und nicht zuletzt seine
Vorgesetzten drängten beharrlich auf Resultate. Rebekka schickte ihm eine SMS
über die letzte Entwicklung im Fall Anna Gudbergsen und hoffte, ihn damit ein
wenig aufzumuntern, obwohl von einem eigentlichen Durchbruch nicht die Rede
sein konnte. Anschließend schrieb sie die Aufzeichnungen des Gesprächs mit
Kenneth Mathiesen ins Reine und war fast fertig, als sie eine SMS bekam: Schaffe es nicht zurück. Vergessen Sie nicht unser Abendessen bei
Jeromes um 19.30 Uhr. Klitvej 25. Richtung Hvide Sande. M.
Rebekka war gleich besserer Laune. Sie kramte ein Lipgloss und eine
ausgediente Mascara aus ihrer Tasche und versuchte, ihrem Aussehen etwas auf
die Sprünge zu helfen. Das musste reichen.
Jeromes lag ungefähr zwanzig Autominuten außerhalb der Stadt.
Rebekka genoss die Fahrt dorthin, während sie die schroffe Landschaft in sich
aufnahm. Hohe weiße Dünen erhoben sich vor einem violetten Himmel. Große
Flächen mit lila Heidekraut säumten die Landstraße, und hin und wieder kam sie
an einem der charakteristischen weißen Fachwerkhäuser vorbei, die mit Reet oder
Torf gedeckt waren. Zwischen den Dünen konnte sie undeutlich die stürmische Nordsee
erkennen.
Ihr Handy klingelte. Dorte.
»Hallo, Bekka, ich wollte nur hören, wie es so läuft. Ringkøbing
macht jetzt ja wirklich Schlagzeilen. Das muss hart für dich sein, als würdest
du nicht schon genug mitmachen.«
»Hart trifft es nicht ganz«, sagte Rebekka und war froh, dass Dorte
ihr so viel Verständnis entgegenbrachte. »Der Fall ist unglaublich kompliziert,
und das andere … das nagt still und leise an mir, egal wie sehr ich dagegen
ankämpfe.«
Einen Augenblick herrschte Stille, dann fuhr sie fort: »Wir haben
wirklich viel zu tun. Im Fall Anna Gudbergsen tauchen dauernd neue Spuren auf.
Aber im Moment bin ich auf dem Weg zu einem schönen Restaurant. Um den Fall
einmal in aller Ruhe mit einem Kollegen durchzusprechen«, fügte sie schnell
hinzu.
»Nun, denn.« Der Freundin war ihr veränderter Tonfall nicht
entgangen. »Darf ich raten, mit wem?«
»Natürlich.«
»Da kann es sich doch nur um Michael Bertelsen handeln«, stellte
Dorte fest, und Rebekka kicherte.
»Ich weiß nicht, was es ist«, sagte sie zögernd. »Die Chemie stimmt
einfach. Er ist ein wirklich netter Typ, und er scheint mit sich im Reinen zu
sein und muss sich nicht dauernd beweisen.«
»Kannst du es dir vorstellen?«, fragte Dorte, und Rebekka dachte
nach.
»Vielleicht, unter den richtigen Umständen, die im Moment einfach
nicht gegeben sind. Es wäre auch äußerst unprofessionell.«
»Dann kann ich also ruhig morgen früh anrufen, ohne zu stören«,
lachte Dorte.
—
Das Restaurant befand sich
in einem sorgsam restaurierten Fachwerkhaus mit Torfdach, das unter Denkmalschutz
stand, und lag zwischen den Dünen direkt am Meer. Die Abendsonne färbte den
breiten Sandstrand rot, und Rebekka blieb einen Moment stehen; in ihrem Blick
mischten sich frohe Erwartung und alte Trauer.
Michael war bereits da und wartete.
Das kleine Lokal mit seinen runden Tischen, den steifen weißen Servietten, den
Kerzen und dem brennenden Kamin in der Ecke machte einen gemütlichen Eindruck.
Fast jeder Tisch war besetzt. Der Raum summte vor leisen Gesprächen und
gedämpftem Lachen. Michael winkte ihr und erhob sich. Einen Moment standen sie
sich linkisch gegenüber, unsicher, ob sie sich umarmen sollten. Rebekka entschied
die Sache, indem sie seinen Arm drückte, und er griff unbeholfen nach ihrer
Hand.
»Hier ist es wirklich gemütlich – und draußen sehr schön.«
Michael nickte begeistert.
»Ich habe mich darauf gefreut, Ihnen das Lokal zu zeigen. Es ist
mein Rückzugsort. Wenn ich von der Arbeit abschalten muss, fahre ich hier raus,
esse gut und lade meine Batterien wieder auf. Anschließend fühle ich mich immer
ein wenig wie ein Kosmopolit und nicht wie der Provinzler, der ich eigentlich
bin.« Er lachte laut, und sie stimmte mit ein, dann nahmen sie einander
gegenüber Platz. Michael runzelte die Stirn.
»Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht, lassen Sie mich mit
der schlechten anfangen. Gösta Svensson ist tot.«
»Das kann nicht sein«, rief Rebekka. »Seit wann?«
»Er ist vor gut drei Wochen gestorben. Am 7.
Weitere Kostenlose Bücher