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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Seeseite lag der Eingang zur U-Bahn. Es gab etwas Immergrün, eine Telefonzelle und einen Schutthaufen. Hier, kaum fünf Meter vom Geländer am See entfernt, kaum zwei Meter neben dem U-Bahn-Eingang und direkt neben dem Immergrün, musste die Leiche gelegen haben. Die Schwäne und Enten auf dem Teich konnten nichts gesehen haben. Dazu lag der Wasserspiegel zu tief. Die Kirche versperrte den Blick auf die von Pennern bewohnten Toiletten. Ohne Frage war es hier nachts einsam. Aber so einsam auch wieder nicht, dass ein Bub mit einem Messer genug Verschwiegenheit hätte finden können, um sich an einer Frau zu vergehen. Dazu eigneten sich Stadtpark oder -garten besser. Allerdings wurden die von Frauen gemieden.
    Ich ging an der Flanke der Kirche entlang zur Westfassade, die hier nach Nordwesten zeigte. Ein Turm fehlte der katholischen Gummigotik. Unter kahlen Bäumen welkte von Hunden verschlissenes Gestrüpp im Grünanlagenmaßwerk. Dazwischen Stein und Platten. Dann das Klohäuschen. Drei Obdachlose, in Jacken und Decken eingewickelt, saßen an einem Campingtisch, auf dem Weinflaschen standen. Der Pfad der Passanten, die den Platz kreuzten, hielt Abstand.
    Die Kerle hatten aufmerksame Augen. Der unentschlosse ne Schwenk meinerseits in ihre Richtung veranlasste den Alten an der sacht besonnten Klowand, mir zuzuwinken. »He! Haste zehn Pfennig?«
    Sein Gesicht war blond bewaldet und rot vernarbt, der Mantel grau, die Jacke graublau, der Schal schwarzgrau, die Hände graurot. Der Zweite war jünger, aber nicht weniger fertig. Der Dritte drehte sich im knirschenden Stoffstühlchen zu mir um. Ein zigeunerhafter Typ mit halbseitig gelähmtem Gesicht.
    Zehn Pfennig taten niemandem weh. Dreimal fünf Mark auch nicht. Aber hätte ich jedem von ihnen einen Hunderter in die Hand gedrückt, sie hätten sofort die Flucht ergriffen, aus Angst, die Polizei könnte ihnen das Geld gleich wieder abnehmen. Sie bedankten sich nicht nur ordentlich und höflich, sondern geradezu überschwänglich für die fünf Mark und boten mir vom Wein an.
    »Darf ich euch was fragen?«, fragte ich.
    »Das isch ’ne Bullette«, sagte der Jüngere.
    »Nee«, sagte der Alte. »Bullen zahlen nich. Das is ’ne So ziologiestudentin mit ’ner empirischen Untersuchung.«
    »Nein«, sagte ich, »ich bin Emanze.«
    Der Alte hob den Hut. »Gnädiges Fräulein, womit können wir dienen?«
    »Ich will alles wissen, was mit dem Toten zusammenhängt. Die, die ihn erschlagen haben soll, ist eine Freundin von mir.«
    Von denen, die vor den Toiletten die fahle Wintersonne genossen, hatte keiner den Toten gefunden. Der, der ihn gefunden hatte, hatte die Fliege gemacht. Der Alte und der Zigeuner waren Sonntagnacht bis gegen Mitternacht hier gewesen und dann zu den warmen Luftschächten in den U-Bahnhof Charlottenplatz gezogen. Bei ihnen hatte kein Junge in Jeanszeug vorgesprochen, um sich zu erkundigen, wo man am bes ten Platte machte. Eine junge Frau, die aussah wie ein Bur sche, war ihnen auch nicht aufgefallen. Geschrei hatte es keines gegeben.
    »Recht hat’s gehabt, das Mädle, dass sie sich gewehrt hat«, fand der Alte. »Man muss sich doch wehren gegen die ganzen Türken. Die bringen den Stoff und nehmen uns die Arbeit.«
    Ich machte mein demokratisches Gesicht. »Der Tote war wohl Deutscher.«
    »Hören Sie, gnädiges Fräulein. Ich bin bestimmt nicht ausländerfeindlich. Aber wegen denen sitze ich auf der Straße. Meine Frau ist mit einem Schwarzen auf und davon.«
    »Prost«, sagte der Junge. »Die gehören an die Wand gestellt, die Frauen und Nigger.«
    »Was bei euch nicht nötig ist«, sagte ich. »Denn ihr sauft euch sowieso das Hirn in den Harn!«
    Der Alte beugte sich vor. »Hören Sie nicht auf den«, sagte er. »Der versteht’s nicht. Meine Frau ist mit allem auf und davon. Aber ich kann’s ihr nicht übel nehmen. Die Schwarzen sind gut im Ficken, oder nicht?«
    »Sie ficken in den Arsch«, sagte der Junge.
    Ich überließ die Herren ihrem Weltschmerz und ging die Johannesstraße hinauf, die am Portal der Kirche begann. Die Johannesstraße war eine eigensinnige Straße, eine der langen Querachsen, die wie Fischgräten von den Ostwestachsen in die Nordhänge griffen, immer schmal, zuweilen eng, an manchen Stellen mit Kopfsteinpflaster. Eine Reihe von Bäumen bildete über zwei Kilometer eine Art Binnenallee. Dazwischen der Stellungskampf zwischen Grün und Parkplätzen. Die Baumstämme mussten durch hohe Bordsteinkanten und Prellstangen gegen

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