Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Aufparker geschützt werden. Hinter den Bäumen lief ein breites Trottwar, wie der Schwabe sagt. Von einigen Bausünden abgesehen, besaß die Straße eine nahezu geschlossene Zeile von Bürgerhäusern aus der Gründerzeit. In so einem Haus war auch das Café Sarah untergebracht. Kugellampen hingen zu Seiten des Eingangs. Die Tür stand offen. Getränkelieferanten schleppten Kisten hinein. Die beiden gestandenen Blaumänner gehörten zu den wenigen Männern, die je das Innere des Sarah betraten. Waren sie sich des Privilegs bewusst? Fühlten sie sich als Voyeure? Sie sahen nicht so aus. Und Zilla quittierte die Rechnung ohne hexenhafte Grimassen.
    »Ach, du bist’s«, sagte sie. Bei der Begrüßung lächelte sie nie, darin war sie den Männern ähnlich. Stattdessen ein prüfender Blick und Vorbehalte. Sie war mindestens zehn Jahre älter als ich und genoss den Vorsprung an Erfahrung. Wir tauschten eilig die Schlagworte aus: Männerjustiz, Kinder, Kerker, Krankenhaus.
    »Erstens«, sagte ich, »brauche ich Informationen über Ga bi: Freundinnen, Sexualleben. Zweitens: Ich muss wissen, wes Geistes Kind sie ist. Sie hat doch früher für die Glamour geschrieben. Und drittens … habe ich vergessen.«
    »Viertens«, sagte Zilla, »ist sie von ihrem Vater missbraucht worden. Und die Mutter hat es geduldet. Glaube ich wenigstens sehr stark.«
    »Glaube ich nicht«, sagte ich. »Als Kinder vergewaltigte Frauen bringen keine Männer um.«
    »Bist du da so sicher?«
    »Nein.«
    Zilla schloss das Lokal ab. Wir begaben uns in den ersten Stock. Petra stand mit nackten Beinen im Nachthemd in einer Türfüllung, das geweckte Entsetzen in Person. »Hallo, Lisa.«
    Zilla bedachte sie mit einem spitzen Kuss und führte mich dann durch die knarrende Diele in ihr Zimmer, wo in einem Regal die in zehn Jahren pro Quartal erschienenen vierzig Ausgaben der Glamour standen. »Wenn du was über Gabi wissen willst, musst du Hede fragen, ihre Freundin. Irgendwo habe ich die Adresse.«
    Zilla ging jedoch nicht an ihren Schreibtisch, ein stilvolles Sperrmüllexemplar, das unter dem hohen Fenster stand, dessen Blick auf die verklinkerte Seitenwand des Nachbarhauses ging, sondern verließ das Zimmer und zog die Tür in die Fal le. Im Flur hörte ich hastiges Geraune, das Aufflammen eines kurzen Gezerfes, dann Türenknallen. Plötzlich brach Bach aus, ein brandenburgischer Wasserfall von apokalyptischen Ausmaßen.
    In Zillas Zimmer standen auf den gewellten dunklen Dielen ferner ein altes braunes Ledersofa, ein alter Tisch, diverse alte Regale und etliche Töpfe Grünzeugs. In den Regalen und auf den Tischen häuften sich Erinnerungsstücke: vertrocknetes Gebinde, ein zerraufter Teddy, eine Porzellanpuppe in Rüschchenkleidchen, Kettchen, Glöckchen, Angehänge, Jugendstilrähmchen mit Familienbildern.
    Die Glamour machte ihrem Namen keine Ehre. Das Papier war rau und billig, die Farben – bevorzugt Lila, Hellgrün und Traumblau – waren blass. In den alten Zeiten, da frau die Machos noch Chauvis nannte und von patriarchalischen Strukturen statt von Männergesellschaft sprach, druckte frau auch nicht senkrechtwaagrecht, sondern diagonal über Doppelseiten und machte trockene Theorie mit farbigen Dreiecken und Balken unleserlich. Frau entdeckte die Weiber und Hexen, Kräuter und Abortmassage, Mondzyklus, Mitgliederinnen und Gästinnen, das Diaphragma, den Bauchtanz und den Tango. Der Lila-Latzhosen-Feminismus kam gerade in und schon wieder aus der Mode.
    In den Anfangsjahren der Glamour , in den aufgeregten Achtzigern, hatte es noch keine Gabi gegeben, da war sie noch in die Grundschule gegangen. Und ich war auch noch nicht mal zwanzig gewesen, hatte Dauerwellen, versuchte, mich so zu schminken und zu kleiden, dass ich wie eine Sekretärin aussah, und hoffte, dass in dem Kaff unterhalb der Schwäbischen Alb, das mein Schicksal zu sein schien, sich ein Mann für mich interessierte.
    Vor vier Jahren, mit sechzehn, hatte Gabi begonnen zu schreiben. Zwei Jahre später hatte die Glamour den Betrieb eingestellt. Gabis erste Äußerungen geschahen in Gedichtform, die ich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht zitiere. Im vorletzten Heft dann ein Artikel mit dem Titel: »Frauen sind die besseren Mörder«.
    Ein solcher Lapsus hätte der Feministin nicht passieren dürfen. Wenn schon nicht »Frauen morden besser«, dann doch wenigstens »Frauen sind die besseren Mörderinnen«, egal, was der Germanist dazu sagte. Schließlich störte sich auch

Weitere Kostenlose Bücher