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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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konnte ich Marie nicht erklären.
    »Ich habe keine Zeit«, antwortete Marie. »Und für dich ist es eine gute Übung, nicht wahr? Außerdem sollten wir für Gabi eine Anwältin finden.«
    »Wo soll ich eine Anwältin hernehmen?«
    »Du machst das schon.« Marie lächelte aufmunternd und verließ das Zimmer.
    Ich zog mir das Telefon auf den Schoß. Erst mal die Pressestelle der Landespolizeidirektion. Es gab damals deren zwei, eine LPD I und eine LPD II. Es war ein Irrtum anzunehmen, dass die LPD I für Stuttgart zuständig war. Es war die andere. Ich hatte eine Pressesprecherin am Ohr. War eine Pressekonferenz zu dem Fall Uwe Häberle angesetzt? Nein. Würde es zusätzliche Informationen geben? Nein. Gab es eine Sonderkommission? Immer bei Tötungsdelikten. Wer war der ermittelnde Staatsanwalt? Eine gewisse Frau Meisner. Danke.
    Frau Meisner war nicht zu sprechen und die Pressedezernentin war misstrauisch. Privatpersonen konnte keine Auskunft erteilt werden. Amazone ? Was isch’n des? Eine Zeitschrift?
    Kannte sie nicht. Man ermittle noch. Noch sei keine Anklage erhoben worden.
    Mein Hirn lechzte nach Ideen. Ich konnte nicht schon wieder Krk anrufen und ihn fragen, wie man recherchierte. Wen kannte ich denn aus dem juristischen Fach außer Marie? Mir fiel eine Scheidungsanwältin ein, die sich als Gemeinderätin der Grünen einen Namen gemacht und irgendwelche Landtagsabgeordneten damit vergrätzt hatte, dass sie sich von ihnen weder in den Mantel helfen, noch die Tür aufhalten ließ. Der Stuttgarter Anzeiger hatte sich vor einiger Zeit darüber lustig gemacht, dass die Grünen, allen voran dieses Weib, den Karlsplatz in Klara-Zetkin-Platz hatten umtaufen wollen. Wie hieß die nur gleich? Anna Böttcher?
    Ich fischte die Telefonnummer aus dem Telefonbuch. Rechtsanwältin Böttcher klang nach schwäbischem Geldgeiz. Das bedeutete immer auch Wortgeiz. Dafür kläffte im Hintergrund ein Hund. »Ich bin keine Strafverteidigerin.«
    »Ich will ja auch nur wissen, ob Sie eine fähige Anwältin kennen, die Gabi verteidigen könnte.«
    »Nein.«
    »Meinen Recherchen zufolge wird es einen Skandal geben. Die Presse schießt sich schon jetzt auf Gabi ein. Verrückte Emanze schlägt unschuldigen jungen Mann auf der Straße nieder.«
    »Ich habe nichts darüber gelesen.«
    »Da wird eine Frau, die sich zur Wehr setzt, öffentlich zur Mörderin und juristisch zur Verrückten gestempelt.«
    Anna Böttcher ließ nicht einmal einen Seufzer durch die Leitung. Der Hund war inzwischen still. Also gut, sie wolle sich mal umhören. Wie sie mich erreichen könne.
    Ich drehte Däumchen. Meine Gedanken entglitten mir und rutschten in Hedes Folterkammer. Bizeps und vorderer Sägemuskel vexierten vor meinem inneren Auge. Ich riss das Fenster auf und nahm mir einen Artikel über Jane Austen vor. Louise hatte bei der Durchsicht vor drei Wochen »Virginia Woolf« an den Rand gekritzelt. Das bedeutete, dass es von Virginia Woolf einen Essay über Jane Austen gab, aus dem zu zitieren war. Ich blätterte in meinem Karteikasten und rief die Autorin an. Sie klang wie aus anderen Äonen herbeigebeamt. »Jane Austen, ach ja. Lang ist’s her.«
    »Wir wollen den Artikel im nächsten Heft drucken«, versprach ich. »Aber es gibt noch eine Kleinigkeit. Haben Sie Virginia Woolfs Essay gelesen?«
    »Natürlich«, sagte sie. Natürlich gelogen. Unser Honorar stand in keinem Verhältnis zu den Ansprüchen, die wir hatten.
    »Louise hätte gern noch ein Zitat daraus.«
    Die Autorin seufzte.
    »Soll ich mich darum kümmern?«, fragte ich.
    »Wenn das geht? Ich bin gerade auf dem Sprung in den Urlaub.« Die Stimme der Autorin klang etwas weniger weit weg.
    Ich überließ sie ihrem Koffer und ging in Louises Büro. Es war das größte und einsamste von allen Büros. Der Schreibtisch schaute zur Tür. Die Bücherregale hatten, obgleich Louise nie müde wurde, uns zur Lektüre einzuladen, etwas von Rühr-mich-nicht-an. Wenn ich Louises Heiligtum betrat, kam ich mir jedes Mal vor, als ginge ich ihr an die Wäsche. Simone de Bouvoir, Alice Schwarzer, Hannah Arendt, Rahel Varnhagen, Ingeborg Drewitz, George Sand, Senta Trömel-Plötz, Luise Pusch, Virginia Woolf. Die philosophische Basis.
    »Ästhetisch kanalisierter Hass«, las ich. »Manchmal hat es den Anschein, als würden ihre Geschöpfe nur geboren, damit Jane Austen die köstliche Freude hätte, ihnen den Kopf abzuschneiden. Sie ist es zufrieden: Sie hat ihr Genüge; sie würde kein Haar auf irgendjemandes

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