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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wurde. Ein Mann in weißem Kittel kam mir entgegen. Er kam direkt auf mich zu. Sein Blick war okkupierend.
    »Wohin wollen Sie denn?«
    »Raus«, sagte ich.
    Er nahm mich sanft am Ellbogen. »Da sind Sie falsch. Kommen Sie. Ich zeige Ihnen den Weg.« Seine Stimme schwang in den sonoren Regionen begütigender Lüge.
    »Das ist ja das reinste Labyrinth hier«, bemerkte ich.
    »Da haben Sie Recht.«
    Die Leuchte im Fahrstuhl sprang über das Erdgeschoss hinaus.
    »Ich will hier raus«, sagte ich.
    »Selbstverständlich.«
    Vermutlich war meine Narbe schuld. Ich sah einfach nicht aus wie ein normaler Mensch. Der Fahrstuhl öffnete sich für mich erst im vierten Stock. Unser Weg endete wieder an der Milchglastür. Der Krankenhausangestellte klingelte. Der Pfleger öffnete.
    »Was wollen Sie denn schon wieder? Ich habe Ihnen doch gesagt …«
     

8
     
    Kaum war ich wieder in der Redaktion, kam Marie in mein Zimmer. »Wir haben eine Anwältin für Gabi. Schreib dir das auf: Karin Beltz. Hier ist die Telefonnummer.«
    Marie reichte mir einen Zettel. Wozu hatte ich eigentlich Anna Böttcher heiß gemacht, eine Anwältin zu finden, wenn Marie mir so wenig zutraute, dass sie dieselbe Arbeit machte?
    »Am besten, du setzt dich gleich mit ihr in Verbindung.«
    »In Ordnung.« Ich nahm das Telefon. Hatte eigentlich irgendwer Louise gefragt? Oder würde sie morgen alles, was wir begonnen hatten, wieder umwerfen? Egal.
    Die Sekretärin in der Anwaltskanzlei Kaiser und Beltz teilte mit, dass Frau Beltz erst morgen früh ab neun wieder zu erreichen sei. Jetzt war es fünf Uhr. Ich könne aber eine Nachricht hinterlassen. Ihre Privatnummer wollte sie mir nicht geben. Dafür musste ich Verständnis haben.
    Im Telefonbuch gab es nur dreimal Beltz. Beim zweiten Mal hatte ich die Anwältin am Ohr.
    »Ich habe mit Ihrem Anruf gerechnet«, sagte sie. Es klang ergeben. Im Hintergrund kreischten Kinder.
    »Kann ich gleich mal zu Ihnen kommen?«
    »Gleich?« Beltz seufzte. »Kommen Sie um acht. Dann sind die Kinder im Bett.«
    Ich fuhr nach Hause. Auf den Treppen begegnete mir die Alte, die ständig im Treppenhaus herumwuselte. Sie wohnte im ersten Stock und hieß Scheible. Aber sie kam aus dem dritten. Ihre Augen glänzten wie fettige Aalsuppe. Sie sah aus wie ein Kind, das aus der Speisekammer kam.
    »Grüß Gott.«
    »Grüß Gott, Frau Nerz. Soo, hend Se Dienschtschluss? Hat ma Sie heut ä bissle früher schpringe lasse?«
    Seit Monaten versuchte Oma Scheible herauszubekommen, was ich beruflich machte. Ich hatte den Verdacht, dass sie sich in meiner Abwesenheit in meiner Wohnung umschaute.
    Für den Besuch bei der Anwältin kleidete ich mich stinkbürgerlich: Jeans, Pullover, Halbschuhe, Armbanduhr, Mantel und Schal. Gegen halb acht ging ich mein Auto suchen. In den Seitenstraßen der Neckarstraße war alles Baustelle. Gelbe Lampen blitzten an Schranken. Zunächst wähnte ich meinen Wagen eingebaggert oder abtransportiert. Die Parkplätze hatten sich in Rohrschächte verwandelt. Aber dann entdeckte ich das gute Stück. Es schlief, die Augen dunkel, den Kühler gesenkt, über einem Abgrund. Noch einen Tag länger, und die Polizei wäre bei mir erschienen oder hätte das Auto abschleppen lassen. Verbotsschilder meldeten, dass das Parken hier schon seit Tagen nicht mehr gestattet war. Ich streichelte Emma über die Flanke. Ein Golf Cabrio, grün metallic, Alufelgen, rote Ledersitze.
    In der Hasenbergsteige wohnten die besseren Leute. Es war eine Gegend für Theaterabonnements. Darum vermutete ich um diese Zeit Parkplätze. Man kurvte von Mitte nach West über den Schwabtunnel auf einen Bergrücken. Die Nobelkontore und Im- und Export GmbHs, die in einzeln stehenden Jugendstilvillen am Fuß des Anstiegs hockten, mussten die Post vor zehn bekommen. Darum musste der Postbote von unten nach oben steigen. Die Verhältnisse in Stuttgart waren ganz einfach. Die teuren Halbhöhen kesselten die namhaften alten Talviertel ein, die vom Verkehr stranguliert wurden. Immer mal wieder tunnelte man Umgehungen in die Berge und jagte den Verkehr durch die Waldgebiete auf die Fildern hinauf. Dann stiegen die Wohnungspreise in den alten Vierteln. Die Hasenbergsteige blieb von solchen Schwankungen unberührt. Im Süden glitzerten die Lichter von Heslach. Auf der anderen Seite blickte man über den Westen auf den Killesberg. Die Beltzens wohnten ganz oben am Waldrand.
    Der Garten war gekennzeichnet von Kindervandalismus. Die Angeln des Törchens waren ausgeleiert,

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