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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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noch wählen zwischen Schizophrenie und Parkinson. Die Behandlung mit Reserpin beseitigte das Serotonin im Hirn, aber auch das Dopamin. Und so milderten sich schizophrene Symptome erst, wenn die Parkinson’sche Lähmung eintrat. Der Mann bewegte sich zeitlupenartig und rang um Würde.
    Ich war bereits bedient. Der Pfleger führte mich in ein Krankenzimmer mit vier Betten und einer Tür in ein zweites Zimmer. Er deutete auf die Tür. Im Bett daneben hatte jemand die Decke bis zum braunen Haarschopf gezogen.
    »Hallo, Gabi«, sagte ich.
    Aber der Pfleger hielt mich zurück. Das war nicht Gabi. Sie lag im nächsten Zimmer. Diesmal erkannte ich die Richtige.
    Sie lag im Bett, hatte kleine verschlafene Augen, ein teigiges Gesicht und fettige Haare. Sie schlug die Decke auf. Ich blickte für einen Moment unter den Kittel auf schwarzes Schamhaar. Dann zerrte Gabi den Bademantel über. Sie gab sich auf halbem Wege mit einem verwurstelten Kragen und Stoffwülsten in den Ärmeln zufrieden. Sie schien mir nicht verwirrter als ich, die ich sie in diesem Zustand ertappte. Ihr dunkler Blick bemühte sich um konventionelle Kontaktaufnahme.
    »Hallo, Lisa, nett, dass du mich besuchst.«
    Sie bewegte sich wie eine Kranke, langsam und unsicher auf den Beinen. Durch den Gang tappten wir in einen Aufenthaltsraum, der sich um Helligkeit bemühte und mit Kiefernholzmöbeln ausgestattet war. Zwei Frauen und der Schizophrene stierten vor sich hin. Insgeheim fürchtete ich Anfälle, Ausbrüche, Übergriffe. Sie würden jedes Wort verstehen, auch wenn wir flüsterten.
    »Wie geht’s?«
    Gabi suchte nach der richtigen Antwort. Ihr Blick ging nach innen.
    »Wir besorgen dir eine gute Anwältin«, sagte ich.
    Gabi schüttelte den Kopf. »Ich stehe zu dem, was ich getan habe. Ich bin eine Mörderin. Ich habe unendliche Schuld auf mich geladen. Ich bin verdammt. Es musste so kommen.«
    »Du redest wie deine Mutter«, sagte ich.
    Gabi zuckte zusammen. »Meine Mutter darf davon nichts wissen, hörst du. Sonst passiert etwas ganz Schlimmes.«
    »Was denn?«
    Gabi hob die Schultern. Der verkrumpelte Bademantel quälte mich fast mehr.
    »Kannst du mir erzählen, was am Sonntagabend genau passiert ist?«
    »Du musst wissen, dass ich nicht verrückt bin. Nicht wirklich. Wenn ich verrückt wäre, dann wüsste ich ja nicht, dass ich verrückt bin.«
    »Natürlich«, sagte ich. Die Entscheidung, ihr meine Zweifel vorzuenthalten, war der erste Verrat an ihrer Zurechnungsfähigkeit.
    »Ich bin voll schuldfähig«, erklärte sie.
    »Erzähl mir noch mal, was tatsächlich passiert ist.«
    Gabi starrte auf den Boden.
    »Du hattest einen Termin«, half ich. »Du warst mit ihm auf elf Uhr verabredet, nicht wahr?«
    Gabi schüttelte irritiert den Kopf.
    »Warum hast du mich eigentlich angemacht, wenn du dich mit Uwe treffen wolltest?«, fragte ich.
    Gabi starrte mich an.
    »Ich erzähle es nicht weiter«, sagte ich. »Ich verstehe das schon. Du bist einfach noch nicht fertig mit den Jungs. Das ist doch in Ordnung. Du wolltest es noch mal wissen. Aber dann ist er dir dumm gekommen. Was hat er denn gemacht oder gesagt?«
    »Wenn du schreist, dann töte ich dich.«
    In diesem Moment stürzte der Pfleger in den Aufenthaltsraum. Der Schock seiner Pflichtvergessenheit machte seine Stimme laut. »Sie dürfen nicht mit ihr reden«, sagte er. »Oder sind Sie mit Frau Weiß verwandt? Wer sind Sie überhaupt? Ich muss das der Polizei melden.«
    Im nächsten Moment stand ich wieder draußen vor der Milchglastür. Der Pfleger war ziemlich energisch geworden. Der Schlüssel knackte im Schloss.
    Nur Unschuldige beharrten auf ihrer Schuld, und das nur dann, wenn sie die Schuld eines anderen decken zu müssen glaubten. Hatte der Bub aus Böblingen Gabi wirklich mit dem Tod bedroht? Oder stammte der Satz »Wenn du schreist, töte ich dich« aus anderen Regionen von Gabis Erinnerungen? War doch etwas dran an Zillas schnellfertigem Verdacht, Gabi sei in ihrer Kindheit vom Vater misshandelt worden? Heutzutage waren immer alle Frauen misshandelt worden – oder missbraucht, wie man das so schön formulierte, als ob es einen richtigen Gebrauch von Mädchen gäbe.
    Ich irrte mich in den Stockwerken. Als die Fahrstuhltür aufging, fand ich mich in den Katakomben des Krankenhauses wieder. Es roch nach gedünsteten Möhren. Essenswagen standen herum, außerdem Tüten mit Wäsche, Gerät. Röhren liefen den Gang entlang. Ich war bereits ein paar Meter gegangen, als mir der Irrtum klar

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