Vergeltung am Degerloch
kommen immer wieder. Sie wollen mich für sich allein haben. Du ja auch.«
»Eine Hure hat man nie für sich allein«, sagte ich. »Gabi hat die Konsequenzen gezogen und sich einen Freund gesucht.
Und weil du das nicht ertragen konntest, hast du ihn umgebracht.«
Hede hatte genügend Hämereserven, um in Gelächter auszubrechen. »Ich habe ein Alibi. Frag Louise, falls sie mit dir überhaupt noch redet. Denn was du dir heute geleistest hast, wird natürlich Konsequenzen haben, und zwar für dich.«
20
Am Kebabstand am Berliner Platz ließ ich mir ein Pita-Brot mit Kebab, Zwiebeln, Tomaten, Joghurt und Paprika füllen. Der dickbäuchige Alte, der am Kiosk sein Bier trank, glotzte mich zwar an, erkannte mich aber nicht als Frau. Es hatte begonnen zu regnen. Gegenüber glitzerten die Mosaiksteinchen in der Wand der Liederhalle. Ein Konzert war zu Ende. Leute in Abendgarderobe standen im Spritzwasser an der Haltestel le. Als eine Straßenbahn sie fortnahm, war der Platz spiegelnd leer. Stuttgart kurz vor Mitternacht.
Richtig war, dass Hede sich an mir rächen konnte, wenn es stimmte, dass Louise mit ihr befreundet war. Doch wenn Louise mich rauswarf, konnte ich, falls es sich lohnte, Louise immer noch erpressen. Es würde den großen deutschen Herrenmagazinen sicherlich gefallen, Details aus dem Sexualleben der Oberemanze zu erfahren.
Wenn jedoch nicht Gabi, sondern jemand anders Uwe am Feuersee den Todesstoß versetzt hatte, dann konnte es auch sein, dass ich als Endhaltestellenleiche endete. Ein Grund mehr, nur noch mit dem Auto zu fahren.
Am Morgen wurde es wieder nicht hell. Es regnete senkrecht von oben nach unten. Auf der Neckarstraße stauten sich die Regenschirme. Niemand schien den Weltuntergang zu bemerken, dem auch der Bunker der Staatsanwaltschaft trotz te. Ich freundete mich mit meinem Kaffee an und ging an die Kiste mit den gesammelten Amazonen . Seitdem ich das Blatt nicht nur las, sondern auch mitgestaltete, wusste ich, dass Martha jeden Monat nach Erscheinen der neusten Ausgabe die Stichwörter für das Jahresregister sammelte, das man damals nicht im Internet aufrief, sondern als geheftete Blätter mit der ersten Ausgabe des folgenden Jahres zugeschickt bekam. Und seitdem ich Martha kannte, wusste ich, dass sie die Amazone nur mit spitzen Fingern anfasste. Was nicht in der Überschrift vorkam, war für immer verloren. Natürlich hätte ich Marie fragen können, wie sie ihr Interview mit Hede überschrieben hatte. Sie hätte mir vermutlich sogar Jahr und Erscheinungsmonat nennen können. Aber Marie musste nicht wissen, dass ich mich für ihr Verhältnis zu Hede interessierte. Die Stichworte Sappho und Callgirl leiteten mich durch fünf Dutzend Hefte, ohne Erfolg.
Doch der April 87 legte von einer ganz anderen Geschichte Zeugnis ab: »Freispruch. Keine Chance auf Genugtuung hatte Gudrun K. vor der zweiten Strafkammer des OLG Hannover mit dem Vorsitzenden Richter Heuer. Die Herrenriege mochte der Mutter einer siebzehnjährigen Tochter keinen Glauben schenken, die eindrücklich einen Kunstunterricht beschrieb, der mit Aktzeichnen und Aktfotografien wohl dem Gymnasiallehrer Karl Kraus mehr Freude gemacht haben dürfte als seinen Schülerinnen. Gudruns Aussage, Kraus habe bei einer Privatsitzung in seinem Wohnzimmer ihre Tochter zum Geschlechtsverkehr gezwungen, taten die Herren als Mädchenphantasie ab. Keine Chance auf Gehör hatte das Opfer selbst. Die Siebzehnjährige beging Selbstmord.«
Im Oktoberheft 1994 stieß ich auf Maries Foto. Louise begrüßte die damals achtundzwanzigjährige Juristin Marie Trittan als neue Redakteurin. Also war Marie nur wenige Monate länger bei der Zeitung als ich. Blieben mir noch vierundzwanzig Hefte zur Durchsicht. Und auch das erübrigte sich im Grunde, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Artikel über ein lesbisches Callgirl nicht ungeheuren Eindruck auf mich gemacht hätte, als ich mich noch darauf beschränkte, die Amazone nur zu lesen. Und in der Tat: Ein solcher Artikel war nie erschienen. Louise musste ihn storniert haben, wie sie das auch mit meinen Geschichten immer wieder tat. Sie war absolut in ihren Anforderungen und hatte das Vertrauen in das Können anderer minimiert. Stets litt sie darunter, Themen, die ihr wichtig waren, nicht selbst bearbeiten zu können, sondern weggeben zu müssen. Wir waren, solange wir es in der Redaktion aushielten, ihre Schülerinnen. Auch wenn es alle Seiten Kraft und Nerven kostete, einen Artikel immer
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