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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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und wirkte klein und tüchtig. Sie hatte schöne Beine, trockene Fesseln, von hohen Absätzen gestählte Waden. Beltz war allein. Es war halb acht.
    Man hatte modernisiert, was nur eben ging. Neue Klinken, weiße Tapeten, Schallschutzfenster, Halogenlampen, Computer, modernste Technik, Zimmerlinden.
    »Was kann ich für Sie tun?« Beltz nahm in ihrem kleinen Büro hinter dem Schreibtisch Platz, auf dem eine aufgeschlagene Mappe lag.
    Ich berichtete ihr von Susanne Schäufeles Gefecht in Rohr, dem Phantombild, Uwes Kinderzimmerfenster und der Vermissten von Böblingen.
    »Alles schön und gut«, sagte sie. »Aber Gabi wird vermutlich nicht angeklagt. Zwar steht die Schuldunfähigkeit gutachterlich noch nicht endgültig fest, aber Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist Vorwerfbarkeit. So wie es aussieht, kann man Gabi keinen Vorwurf machen. Sie leidet an einer endogenen Psychose, vermutlich Schizophrenie. Die Schwierigkeit besteht, wie immer, darin, dass man dies organisch nicht nachweisen kann.«
    »Dann stimmt es also«, sagte ich. »Gabi ist eine multiple Persönlichkeit.«
    »Was auch immer das ist«, antwortete Beltz. »Fest steht, dass ihre seelische Abnormität nicht die Folge einer organischen Erkrankung ist, sondern, wie wir sagen, eine Spielart ihres seelischen Wesens. Was die Beurteilung von Gabi besonders schwierig macht, ist, dass sich in ihrem Fall zwei gegensätzliche Prinzipien der Begutachtung überschneiden. Da haben wir zum einen die Unmotiviertheit ihrer Handlung. Sie ist nie als gewalttätig oder aggressiv in Erscheinung getreten, doch plötzlich erschlägt sie, aus welchen subjektiv notwendigen Gründen auch immer, einen jungen Mann auf der Straße. Damit beging sie eine persönlichkeitsfremde Handlung, die wir kaum nachvollziehen können.«
    »Die Bedrohung durch den Mann auf der Straße ist ein durchaus objektivierbares Motiv«, warf ich ein.
    Beltz lächelte verzwickt. »Aber Sie erschlagen trotzdem keine Passanten. Nein. Um Gabis Handlung zu verstehen, müssen wir eine seelische Erkrankung postulieren und damit die logische Unerklärbarkeit ihrer Handlung. Wir können nicht nachvollziehen, warum Gabi sich von Uwe bedroht fühl te. Trotz intensivster Suche hat die Polizei kein Messer gefunden. Trotzdem ist Ihr Einwand eben auch nicht von der Hand zu weisen. Denn es gibt Handlungen aus einem Gefühl der Existenzangst, des Zorns oder der Verzweiflung, die wir sehr gut verstehen und nachvollziehen können. Es gibt Ausnahmefälle, in denen ein Mensch ausschließlich durch den Höchstgrad seiner Erregung in eine Lage gerät, in der er gänzlich die Selbstbeherrschung und Fassung verliert. Triebhaftigkeit beim Mann hat die Rechtsprechung schon als Exkulpationsgrund anerkannt. Hier handelt es sich um eine tief greifende Bewusstseinsstörung und schwere seelische Abartigkeit.«
    »Aber Gabi ist eine Frau.«
    »Das ist das Problem. Triebhaftigkeit scheidet aus. Bleibt Existenzangst. Normalerweise töten Frauen nicht, wenn sie Angst haben. Also handelt es sich hier um einen abnormen Bruch des bisherigen Verhaltens von Gabi. Wir können ihre Motive teilweise nachvollziehen, nicht aber bezogen auf das konkrete Opfer …«
    »Es sei denn, Uwe wollte Gabi wirklich an die Wäsche.«
    Beltz schüttelte ungeduldig den klugen Kopf. »Verstehen Sie denn immer noch nicht? Es ist völlig gleichgültig, was Uwe tatsächlich vorhatte. Gabi ist nicht verletzt worden. Es gibt keine Spuren eines Kampfes und einer echten Notwehrsituation.
    Postulieren wir völlige Normalität und damit Einsicht in die Folgenhaftigkeit des Tuns, dann hat Gabi in der Selbstverteidigung zu unverhältnismäßigen Mitteln gegriffen, indem sie Uwe tötete. Postulieren wir eine Psychose, die sich in übermäßiger Angst äußerte und zu einer krassen Fehleinschätzung der Situation führte, dann haben wir es mit einer affektiven Tat zu tun, die nur dann nachvollziehbar scheint, wenn wir wie Gabi davon ausgehen, dass Uwe sie töten wollte, die aber tatsächlich nicht nachvollziehbar ist, weil sie aus Gabis bislang passiver und zurückgezogener Lebensführung nicht erklärbar ist. Verstehen Sie?«
    »Nein.«
    Die Anwältin seufzte. »Kurz gesagt: Auch Verrückte tun Dinge, die wir verstehen, wenn wir uns auf ihre Scheinwelt einlassen. Gabi glaubte sich bedroht, war es aber nicht. Wenn wir das nachweisen, dann wird sie nicht vor Gericht gestellt.«
    »Lebenslang Psychiatrie ist schlimmer als Gefängnis«, sagte ich.
    »Man kann Schizophrenie heute

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