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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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die Augen schweifen. Ich hätte gern jemanden zu meinem Schutz mitgenommen. Aber Petra hatte an der Bar zu tun. Sollte ich eine der Mütter mit Halstuch, Wollpullover und langem Rock bitten? Oder die Studentin mit den hennabraunen Locken? Oder die verlebte Heterofrau in dem oversized Outfit, die allein und zentimeterdick geschminkt an ihrem Piccolo saß? Oder einen der Buben? Am ehesten wäre die starke Lesbe mit den kniehohen Stulpenstiefeln und dem beschlagenen Leder an den Handgelenken einer wie Hede gewachsen gewesen.
     

19
     
    Sie trug fließende lachsfarbene Seide und lächelte wie eine Frau, die wusste, dass man den Mann erst einmal seine Launen austoben lassen musste, bevor man zum erotischen Teil überging. Ich stürmte an ihr vorbei zu der einzigen Tür, hinter die ich noch nicht geblickt hatte.
    Gabis Zimmer lag zur Straße hinaus. Es beinhaltete ein Bett für zwei, mit Seidenkissen belegt, einen Schreibtisch an der Wand, an die allerlei Zettel, Fotos und Reisegrüße gepinnt waren. Ein Foto Uwes war nicht darunter. Vermutlich war die Idee sowieso Unsinn. Hätte Gabi denn versucht, mich anzumachen, wenn sie sich um elf mit Uwe treffen wollte? Oder war es eben das Schauspiel gewesen, mit dem sie vor allem sich selbst ihr lesbisches Interesse hatte beweisen müssen, bevor sie zum Rendezvous mit einem Knaben ging?
    »Du gehst aber ran«, bemerkte Hede.
    Ich hatte noch nie Schwierigkeiten gehabt, in fremden Schubladen zu wühlen. In den Schreibtischladen befand sich der übliche Kram von Radiergummi bis Pfefferminz. Ein offenes Regal enthielt neben Büchern die ausgedienten Insignien der Friedensbewegung: Anti-AKW-Sticker und lila Tuch. Unter den Büchern gab es eine Latte Diätratgeber und dann Psychologie von Freuds Traumdeutung bis zu Alice Millers Du sollst nicht merken . Ferner Hesses Steppenwolf , Christa Wolfs Kassandra , Mahmudis Nicht ohne meine Tochter und Groults Salz auf unserer Haut.
    Das Innere des Kleiderschranks ähnelte meinem: Klamotten als Verkleidung, von Minirock bis Motorradjacke. Ich versuchte, mich zu erinnern, was Gabi angehabt hatte, als ich sie im Sarah traf. Schwarze Jeans, weißes Hemd und eine Weste. In den Taschen der Hosen fand ich ein Vitamin-C-Bonbon und ein Pfennigstück, aber keine Kinokarte. In der Weste steckte ein Adresszettelchen, das wohl mal mitgewaschen worden war. Jedenfalls konnte man nichts mehr lesen. Außerdem fand ich ein Kondom in der Motorradjacke. Es war knallrot und auf eine herzförmige Pappe geschweißt. Ein Werbegeschenk von einem AIDS-Informationsstand. Der bes te Schutz vor AIDS: Frauen lieben.
    Ich hielt Hede das Kondom unter die Nase. »Hatte Gabi heterosexuelle Beziehungen?«
    Hede hob die schönen Schultern. Sie stand in der ersten Position an der Tür. Ich dachte an die erzählenden Lippen der Scheherazade: der Mund wie der Ring Salomons, Zähnchen wie eine Schnur von Perlen, die Brauen wie der Neumond des gesegneten Fastenmonats, die Brüste wie zwei Granatäpfel, und die Höhle des Nabels hätte eine Unze Benzoesalbe gefasst, der Leib wie ein Stück des Mondes und die Backen, die da bebten … Hede dagegen war sehnig und scharf geschnitten. Niemals würde sie zugeben, dass Gabi ihren Liebestrank ausgeschlagen hatte, um sich einem pickligen Jüngling zuzuwenden.
    »Wo warst du an jenem Sonntagabend?«, fragte ich.
    »Ist das ein Verhör?«
    »Antworte. Jetzt ist keine Zeit für Spielchen.«
    »Du bist hübsch, wenn du energisch wirst.« Hede lächelte.
    Ich baute mich auf. »Du fängst gleich eine. In jedem Krimi wird eine Frau geschlagen.«
    Hede lachte glöckchenhell.
    Ich ließ meine Hand sausen. Hede duckte sich. Sie war zwar durchtrainiert, aber mit ihrem Federgewicht meiner Massigkeit unterlegen. Die Tänzerin stolperte durch Gabis Zimmer. Als Frau ohne exponiertes Gebammel im Schritt war ich nahezu unverletzlich. Ich packte die lachsfarbene Seide und drückte Hede gegen die Schreibtischkante.
    »Au, du tust mir weh!«
    »Frauenschicksal. Mit wem warst du Sonntagabend zusammen?«
    »Das kann ich nicht sagen. Au, hör auf! Können wir nicht vernünftig miteinander reden?«
    »Wer war bei dir?«
    »Bist du etwa eifersüchtig?«
    Ich schob den Schenkel zwischen ihre Beine und fixierte Hede mit einem Haltegriff. »Mit wem?«
    »Mit Louise … Louise Peters, deiner Chefin«, ächzte sie.
    Ich ließ los.
    Sie ordnete ihre Textilien. »Ja, das wusstest du nicht. Alle waren sie bei mir. Alle! Und alle warnen sich gegenseitig vor mir, aber sie

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