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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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wieder umzuschreiben, Louise setzte lieber das Erscheinen des Heftes aufs Spiel, als etwas abzudrucken, das ihr verbesserungsbedürftig erschien.
    Ich rief Martha an und teilte ihr mit, dass ich auf Recherche sei und später kommen werde. »Außerdem«, sagte ich, »muss ich mit Louise sprechen. Hat sie sich gemeldet?«
    »Nein.« Zum ersten Mal klang Martha besorgt. »Ich weiß nicht, wo sie steckt. Sie müsste eigentlich längst …«
    »Es wird doch nichts passiert sein«, sagte ich. Ich sah mich schon auf die Schwäbische Alb fahren und in Louises Monrepos eine Tragödie vorfinden. Sehr delikat. Würde dann Marie die Amazone übernehmen?
    Bei der Suche nach dem Zettel mit Krks Privatnummer in meiner Jacke fiel mir das kleine schwarze Büchlein in die Hände, das ich aus Uwes Kinderzimmerschreibtisch entwendet hatte. Es war ein Büchlein von der verspielten Sorte, wie man es manchmal in Ramschkästen von Schreibwarenhandlungen fand. Eigentlich konnte man damit nicht viel anfangen. Die paar gekritzelten Zeichnungen, die es enthielt, sahen danach aus, als habe Uwe einfach nur was auf die leeren Seiten fabrizieren wollen. Die Vögel und Katzen sahen ziemlich ungelenk aus. Später hatte er dann entdeckt, wozu er das Büchlein wirklich verwenden wollte. Von hinten her hatte er mit einer Liste begonnen.
    »6.12. Joh 20.30« stand ganz oben. Mit einem anderen Kugelschreiber war wohl später die Jahreszahl 94 ergänzt worden.
    »Eber 3.3.95« kam dann. Oder es hieß: »Löw 17.55 10.3. Ak«. Oder: »Alb 17.28 L6 25.8.« Oder: »Laukin 26.8. *« Und: »Silber So * 2 Std.« Dann wurden die Vorgänge komplizierter: »7.9. Joh 21.00 G. 2 Std. Trau 123«, »9.9. Joh 19.30. G. Palast. Tr. Joh«. Die letzte Eintragung lautete: »8.2. Joh 23.00«.
    Ein paar dieser Hieroglyphen ließen sich ohne weiteres als Daten und Uhrzeiten identifizieren. Wenn es Protokolle eines Voyeurs waren, dann war Uwe im Lauf eines nicht näher definierten Zeitraums womöglich einem Dutzend Frauen hinterhergestiegen und hatte ihre Bewegungen protokolliert. Die Vorstellung machte mir Gänsehaut.
    Ich wählte Krks Privatnummer. Nach seiner gestrigen Spätschicht hatte er vermutlich den Vormittag frei. Er hustete so schrecklich, dass mir klar wurde, dass ich ihn geweckt hat te. Vermutlich stand er fröstelnd in Unterhosen am Telefon oder im Unterhemd ohne Unterhose.
    »Du solltest weniger rauchen«, sagte ich.
    »Nun mal langsam, alles der Reihe nach.« Ich hörte Bettfedern knacken. »Was gibt’s denn?«
    »Wollten wir nicht eine Leiche suchen?«
    Es blieb still. Vermutlich sah er aus dem Fenster und machte drei Kreuze.
    »Ich hole dich in einer halben Stunde ab«, sagte ich.
    Er knurrte.
     

21
     
    Die schwere Glastür des Ärztehauses in der Felix-Dahn-Straße stand offen. Im nietennagelneuen Treppenhaus roch es nach Desinfektionsmitteln und Inhalationsdämpfen. Ein Mann kam die Treppe herab, der sich mit der Zunge in seinem renovierten Gebiss zurechtzufinden suchte. Ein Jüngling mit verschorftem Gesicht stieg zum Hautarzt empor. Das Pfeifen eines Zahnarztbohrers surrte durch alle Wände.
    Krks Wohnung lag unterm Flachdach. Die Klingel schnarr te. Ich hörte Schritte auf Stein. Krk öffnete die Tür und stopfte sich das dunkelbraune Flanellhemd in die Jeans. Alles hatte ich erwartet, nur nicht eine kahle Wohnung, in der es nach Kaffee roch. Vom Flur gingen drei Türen ab, die alle verschlossen waren. Die vierte führte in eine helle Küche mit Fenster zur Straße. Die Kaffeemaschine rülpste. Alles war blitzmodern, unberührt und peinlich sauber.
    »Kaffee?«, fragte er und goss sich einen Becher voll. Ich mochte es, wenn Männer Frischmilchtüten aufschnitten. Es bedeutete, dass sie regelmäßig einkauften. Auf dem Küchentisch standen Brot, Butter, Käse, Schinken und Marmelade. Ein gemeinsames Frühstück ohne Beischlaf war etwas Köstliches. Krk roch nach Rasierwasser und Duschgel.
    Ich nippte an meinem Kaffee und sah zu, wie er seine vitalen Bedürfnisse stillte. Er betrieb das Fressen mit einer alles andere ausschließenden Gründlichkeit.
    Plötzlich schaute er auf. »Wo hast du eigentlich diese Nar be her?«
    »Ein Autounfall.«
    Er sah mich über den Tassenrand an. »Nicht angeschnallt?«
    »Dann wäre ich vermutlich tot. Ein Birnbaum stand im Weg. Mein Mann kam dabei ums Leben.«
    Er senkte die übergroßen Augen nicht. Er ergründete mei ne Seelenlage. Nach vier Jahren suchten Frauen sich neue Män ner. Männer begannen damit schon nach

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