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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Allein schon, weil sie nach einem Abschiedsbrief sucht. Und wenn sie auf die Sendeberichte in Louises Fax stößt …«
    »Dann muss ich es der Polizei halt erklären. Deshalb werden sie mich auch nicht gleich verhaften.«
    Marie blickte mir in die Augen wie ein Staubsaugervertreter, der von seinem Charisma als Verkäufer pannenanfälliger Geräte überzeugt ist. Dabei war ich doch sowieso bereit, meiner schönen Marie alles abzukaufen. Allein hatte sie das schreckliche Geheimnis mit sich herumgetragen, dass Louise auf ihre älteren Tage zum Waschweib mutiert war. Und nun musste sie auch noch mich ins Vertrauen ziehen, obgleich sie mich herzlich verachtete.
    Sie legte kurz die kühle Hand auf meine Schulter und verließ den Laden. Vom Zauber ihrer Gegenwart erlöst, kam ich ins Grübeln. Konnte es wirklich sein, dass eine Frau, die ihr ganzes Leben dem Kampf für die Rechte der Frauen gewidmet hatte, plötzlich umschwenkte? Was für verheerende Prozesse mussten im Hirn eines Menschen ablaufen, dass archaische Überzeugungen wieder zum Vorschein kamen? Als ob der Feminismus nur ein angestrengtes ideologisches Ablenkungsmanöver für den Hass der Frauen auf Frauen wäre.
    Ich stärkte mich mit dem Kaffee, begab mich in Louises Büro und ging an ihren Schreibtisch. Hustenpastillen, Büromaterial, Nitrolingualkapseln und eine Mappe mit Zetteln und Papieren mit Louises weitschweifiger Handschrift. »Schweizerin, die vom Mann verlassen und isoliert von Sozialhilfe lebt, schließt Kind in der Wohnung ein und fährt weg. Das Baby verhungert in vier Tagen. Die Hunde auf der Terrasse sterben in vierzehn Tagen. Nach vier Wochen rufen die Nachbarn wegen des Leichengeruchs die Polizei. Urteil gegen die Frau: Sieben Jahre. Psychiatrisches Gutachten bescheinigt ihr mangelndes Einfühlungsvermögen in andere Menschen.« Auf einem anderen Blatt stand: »Mutter wird vom Ehemann verlassen, entwickelt eine erotische Beziehung zu ihrem Sohn, den sie aber vollständig fallen lässt, als sie sich in einen anderen Mann verliebt.« Oder:
    »Mutter erstickt Säugling im Schlaf mit einem angefeuchteten Papier, das sie über das Näschen legt, entsorgt die Leiche im Mülleimer und behauptet, das Kind sei ihr beim Einkaufen aus dem Kinderwagen vorm Supermarkt geklaut worden.« Oder: »Hochintelligente Studentin kopiert Don Juan, verführt minder intelligente Knaben ab 18 ohne sexuelle Erfahrungen und lässt sie dann sitzen. Bis einer rabiat wird.« Oder: »Mutter prügelt fünfjährigen Sohn so lange, bis er an einer Hirnblutung nach einer Schädelfraktur stirbt, und behauptet, ihr Lebensgefährte habe das Kind missbraucht.« Und: »Mutter duldet jahrelange sexuelle Misshandlungen ihrer Tochter durch den Ehemann, weil sie deshalb vom sexuellen Verlangen ihres Gatten verschont bleibt.« Schließlich: »Lesbisches Paar vergiftet Ehemann der einen mit Phenazetin im Schmerzmittel Adolorin, bis er an Nierenversagen und Methämoglobinanämie stirbt. Tötungsabsicht ist ihnen nicht nachweisbar. Freispruch.« Und so weiter. Himmel! Was hatte sie mit dieser Sammlung vorgehabt?
    Obenauf in einer anderen Schublade lag ein unterschriftsreifer Vertrag für den Verkauf der Amazone an den Burda Verlag. Sei es aus finanziellen Gründen oder aus plötzlichem Desinteresse an ihrem Lebenswerk, Louise war im Begriff gewesen, uns an die Männerpresse zu verkaufen. Mir wurde flau. Hatte Marie das alles gewusst?
    Ich nahm die Mappe mit den fürchterlichen Frauen und den Vertrag und schloss beides in meinem Schreibtisch ein.
    Das Bild von Louises Wohnung und der entstellten Leiche blitzte mir durch den Schädel. Die Uhr fiel mir wieder ein. Wenn der Wecker generell nachging, hätte man aus dem täglichen Rückstand errechnen können, wann Louise ihn zuletzt richtig gestellt hatte. Aber es war unwahrscheinlich, dass ein Mensch heute noch mit einem ungenauen Wecker lebte. Außerdem gingen Elektrouhren nicht nach. Ich sah die schwarze Strippe wieder vor mir, die zur Steckdose ging. Ich war auch schon zu spät in die Redaktion gekommen, weil der Strom über Nacht für einige Stunden ausgefallen war.
    Ich kehrte ins Sekretariat zurück und rief die Technischen Werke an. Das war sonntags ein Buchbinder-Wanninger-Unterfangen. Der Bereitschaftsmann verwies mich in eine Zentrale, die schickte mich zurück zur Bereitschaft, die nichts sagen wollte und es mir überließ, die Erlaubnis zur Auskunft beim Chef daheim zu erbitten, der mich zurück an den Bereitschaftsdienst verwies,

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