Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Straßenseite. Im Augenwinkel sah ich, wie der Kerl hinter mir ebenfalls die Straßenseite wechselte. Mein Puls beschleunigte sich. Ein heilsamer Zorn stieg in mir hoch. Ich lauschte auf Schritte hinter mir. Komm du nur!
    Eine Hand zupfte an meinem Ärmel. Ich fuhr herum und ging dem Mann unbesehen an den Kragen. Der größte Fehler, den Frauen machten, wenn sie sich angegriffen fühlten, war immer, den Angreifer von sich wegzuhalten. Damit rechnete er. Aber er rechnete nicht damit, dass die Frau ihn packen, frontal gegen ihn rennen und ihn mit einem hinter seiner Ferse eingehakten Fuß rückwärts stoßen würde. Judo heißt, dass man die Kraft des Gegners gegen ihn selbst wendet.
    Der Mann ruderte mit den Armen, taumelte und fiel in Bruchteilen von Sekunden, noch ehe er dazu kam zu schreien. In diesen Bruchteilen erkannte ich ihn und hielt ihn am Mantelkragen fest, um den Aufprall auf dem Asphalt zu mildern.
    Krk war ohnehin nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Sein Lidschlag war langsam und gleichmütig. Er rappelte sich auf, als gehörte es sich so, dass ich ihm zur Begrüßung die Füße wegfegte.
    »Wo warst du denn?«, sagte ich vorwurfsvoll.
    Krk lehnte sich gegen eine Hauswand und blickte schuldbewusst über mich hinweg in Richtung der Bierwerbung über dem Eckkneipeneingang.
    »Louise ist tot.« Ich war selbst überrascht, dass meine Stimme kippte. Außerdem verschwammen die Lichter der Straße zu Brei. Krk zog ein weißes Taschentuch. Ich musste lachen. Männer und ihre weißen Stofftaschentücher. Er legte den Arm um meine Schulter und führte mich die Straße entlang. Ich erzählte ihm von beiden Leichen. Das Erste, was Krk tat, als wir in seiner Wohnung angekommen waren, war, in seiner Redaktion anzurufen.
    Dann wandte er sich mir zu. »Kaffee? Schnaps habe ich leider keinen.« Seine Zunge war schwer. Er rieb sich das unrasierte Kinn.
    »Kaffee wäre gut.«
    Krk ließ sich in einen Küchenstuhl fallen und sagte: »Scheiße!«
    In meine Seele kehrte Frieden ein. Die Nöte anderer machten mich ruhig. Krk frönte offensichtlich der praktischen Verzweiflung. »Ich habe dich vermisst«, sagte er.
    »Du hättest nur anzurufen brauchen.«
    »Nur?« Er hangelte sich hoch zur Kaffeemaschine und verstreute die Filtertüten.
    »Man kann doch über alles reden«, behauptete ich.
    »Aber es führt zu nichts.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist doch besser, wenn du gehst. Ich bin nicht in der Verfassung …«
    »In Ordnung.«
    Seine aufrichtige Angst übertrug sich auf mich. Im Flur erkannte ich den Irrtum und kehrte um. Er hatte sich gegen die Spüle gelehnt und stoppte meinen Zugriff. Ich fasste nach. Er riss sich los. Was nun kam, war krasser, als ich es mir hätte ausdenken können. Seine mädchenhaft prüde Abwehr war grundehrlich und dennoch pervers.
    Ich fragte: »Was ist eigentlich?« Aber ich bekam keine Antwort. Meine Hände schienen Nesselhärchen auf seiner Haut zu sein, die einen Ohnmächtigen folterten. Ich war zunächst unschlüssig, wie viel Gewalt ich anwenden musste, um sein Verlangen zu stillen. Unaussprechlich wollüstige Angst lähmte ihn. Als ich mich auf ihn pflanzte, kam er augenblicklich, das Gesicht von seinen Armen verdeckt, schamlos stöhnend, mit einer Hemmungslosigkeit, die jenseits jeder menschlichen Vernunft und Selbstachtung lag. Ich erkannte ihn. Danach schlang er die Arme um mich, rieb die Nase zwischen meinen Brüsten und leckte. »Ich schäme mich so.«
     

25
     
    Als ich nach dem Frühstück mit einem von Krks Vitamin-C-Bonbons in der Tasche heimkam, wartete die Polizei schon auf mich. Oma Scheible hatte sie in meine Wohnung gelassen. Sie stand in meiner Küche und sortierte die schimmligen Orangen in den Mülleimer. Mit einem tatendurstigen Blick umfasste sie meinen ganzen Haushalt.
    »I hen die Herren scho mal neiglasse, ’s isch Ihne doch recht. Die miesset ja net im Stiegehaus warte, gell?«
    »Sie sind Lisa Nerz?«, erkundigte sich einer der beiden Zivilbullen. »Ich bin Kriminaloberkommissar Rasch. Das ist mein Kollege Gerber.«
    »Angenehm.«
    Rasch war ein dünner Langer mit schwarzen Haaren, schwarzem Schnauzer, schwarzen Augenbrauen und schwarzen Augen. Gerber war ein blonder Langer. Die beiden Langen zeigten ihre grünen Dienstausweise.
    »Sie haben doch gestern Abend den Tod von Louise Peters der Polizei gemeldet?«, sagte Rasch. »Waren Sie in der Wohnung? Oder von wo aus haben Sie angerufen?«
    Ich hatte nicht die 110 gewählt, denn solche

Weitere Kostenlose Bücher