Vergeltung am Degerloch
der sich dann endlich bequemte, in den Unterlagen nachzuschauen. Ich hörte Aktenordner und Umblättern. Einen allgemeinen Stromausfall hatte es in Louises Viertel in den letzten Monaten nicht gegeben. Anderer Ordner. Auch straßenweit war nichts passiert. Blieb das Haus. Dann hatte er es: Kurzschluss am vergangenen Freitag. Der Notdienst der TWS war ausgerückt, um einen Wasserschaden an der Hauptleitung zu beheben. Freitag war Louise schon lange tot gewesen. Das brachte also nichts.
»Zwischen dem Anruf bei uns«, sagte der Techniker, »und dem Eintreffen des Dienstes sind zwanzig Minuten vergangen. Der Schaden wurde innerhalb von zehn Minuten behoben.«
Neue Hoffnung. »Dann fehlen ja noch rund vier Stunden.«
Der Mann blätterte. »Hier. Stromausfall im ganzen Haus in der Nacht, wieder von Sonntag auf Montag, den achten auf den neunten zwölften. Wieder ein Wasserschaden. Vermutlich dieselbe Ursache, kann ich Ihnen aber momentan nicht sagen. Der Dienst kam am frühen Morgen um sieben. Der Verteiler im Haus musste vollständig erneuert werden.«
Das waren die vier Stunden. Also war Louise zwei Wochen tot. Ich dachte an Martha und Marie, die uns die ganze Zeit mit der Ankündigung hingehalten hatten, Louise werde am nächsten Tag kommen. Zwei Weiber, die Louise aus schwer abschätzbaren Motiven vollständig gegen uns abgeschirmt hatten. Sie waren sogar so weit gegangen, Telefonanrufe und Faxe zu erfinden, nur um den völligen geistigen und moralischen Verfall unserer Chefin zu decken. Was hatten die beiden eigentlich geglaubt, wie das weitergehen sollte? Oder hatte eben eine von beiden beschlossen, dem unhaltbaren Zustand ein Ende zu machen?
Allerdings gehörte es zum Schwierigsten überhaupt, einen Selbstmord durch Tabletten zu fingieren. Wenn jemand dem Opfer die tödliche Dosis gewaltsam einführte – was ohne Schlauch kaum ging und einen erheblichen Brechreiz und Gegenwehr provozierte –, dann fand der Gerichtsmediziner kleinste Verletzungen im Mund- und Schlundbereich. Es sei denn, die Leiche war so stark verwest, dass die Organe sich in eine schaumige, schmierige Substanz aufgelöst hatten. Schon vor dem bakteriellen Fäulnisprozess konnte die Autolyse des Magens ein solches Ausmaß erreichen, dass große Teile der Magenwand und des Zwerchfells zerstört wurden.
Es war also entscheidend darauf angekommen, dass man Louises Leiche so spät wie möglich fand. Und während Martha, meiner vagen Erinnerung zufolge, schon bald zugegeben hatte, dass sie Louise seit Tagen nicht mehr gesprochen hatte, fingierte Marie noch in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch ein Fax. Vielleicht hatte sie Louises Monrepos eigentlich deshalb aufgesucht, um irgendwelche Spuren zu beseitigen oder auch nur aufzuräumen und damit die unheimliche geistige Wandlung der prominenten Emanze zu vertuschen. Doch warum hatte sie dann nicht auch beizeiten Louises Schreibtisch im Büro leer gemacht? Wenn bekannt wurde, dass Louise die Amazone hatte verkaufen wollen, dann recherchierte mindestens die Regenbogenpresse, und dann gnade uns Göttin. Dann gab es einen Skandal, der Louise posthum gänzlich demontieren würde.
Wie sollte ich mit diesem Wissen jetzt noch meinen persönlichen Nachruf schreiben, getragen von Hochachtung und Bewunderung? Wie schaffte das Marie?
Schon am Entwurf der Todesanzeige scheiterte ich. Die Anrufe von Radiosendern nahm ich nur noch durch einen Schleier wahr. Der kalte Kaffee war eklig. Ich zerbiss Krks Vitamin-C-Bonbon. Ein bisschen Zucker fürs Gehirn. Die Vitamine waren Nebensache. Das Sekretariat fing an, sich zu drehen.
Vielleicht hatte Helga ja Recht, kam mir in den Sinn, und Marie hatte längst ihren Artikel für den SPIEGEL fertig. Die Wahrheit über Louise Peters. Die Eintrittskarte für die Karrie re. In mir setzte sich eben der Gedanke durch, es sei gut, sich mal in Maries Büro umzuschauen, als das Telefon klingelte.
Es war Krk. »Ich bin im Büro«, sagte er. »Wie geht es dir?«
Ich hatte so ein Gefühl. »Komm zur Sache, was ist los?«
»Ich habe gerade eine Mitteilung von der Polizei bekommen. Man hat im Silberwald – du weißt, hinter Degerloch bei Sillenbuch – eine weibliche Leiche gefunden. Vermutlich erfroren. Ob sie unter Medikamenten stand, ist noch nicht raus.«
Mir brach der kalte Schweiß aus.
»Kurzum. Es ist Gabi.«
Der kalte Schweiß legte sich wie ein schmieriger Film auf die Haut. Mir war, als schlurrten die Muskeln und Sehnen zusammen und als entleere sich mein Hirn, wie
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