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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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lag und langsam vor sich hin faulte … Wie ist man denn da drauf gekommen?« Bettina stierte Löcher in den Tisch. »Und wer hat die Presse benachrichtigt? Du, Marie?« Bettina fixierte sie. »Wolltest du dir damit die Eintrittkarte für den SPIEGEL beschaffen? Hast du den Bericht schon fertig?«
    Maries Augen zuckten kurz zu mir herüber. Dann schüttel te sie den Kopf. »Bettina, du bist geschmacklos.«
    »Ich dachte nur«, sagte Bettina verträumt, »falls Louise wollte, dass du die Amazone übernimmst.«
    »Ja, und?« Marie klang böse und hart.
    Mir war bislang nicht bewusst gewesen, dass die Amazonen ihr den Ehrgeiz und die Führungskompetenz so übel nahmen. Dabei wünschten wir uns doch starke Frauen; bloß eben nicht aus unserer Mitte. Vielleicht hätte ich Marie im Moment entlasten können, wenn ich zugegeben hätte, dass ich Louise gefunden hatte. Aber es schien mir im Moment nicht opportun, wie man so schön sagt. Ich vermutete, dass auch Marie klar war, dass mir klar war, dass Louise nicht mehr am Leben gewesen sein konnte, als letzten Mittwoch das Fax mit dem Kommentar von ihrem Monrepos kam. Hätte man Louise erst Wochen später gefunden, wäre der Todeszeitpunkt vermutlich anhand des Faxes auf nach Mittwoch festgelegt worden.
    Marie ging sehr umsichtig vor. Trotz der unterschwelligen Proteststimmung in der Redaktion entwarf und verteilte sie die Aufgaben. Wir alle erhielten den Auftrag, unseren persönlichen Nachruf zu schreiben und ihn auch von den Autorinnen anzufordern, mit denen wir in unseren Ressorts zu tun hatten. Das band zunächst die Gefühle und bedeutete Arbeit. Martha wurde ins Archiv geschickt, um alle Daten zu Louises Leben zusammenzusuchen. Sie ging mit dem Hinweis, dass der Kaffee fertig sei. Bettina ging heim, um in ihren Cartoons zu kramen. Helga zog sich ebenfalls nach Hause zurück. Marion und Karola wollten zunächst irgendwo was essen gehen. Sie würden die nächsten Stunden in einem Bistro herumhocken, rauchen, Liköre trinken und die Situation durchkauen. Ich wurde zum Telefondienst abgestellt.
    Marie stellte mir den Riesenpott Kaffee eigenhändig neben das Telefon, blieb neben mir stehen und gab unnötige Anweisungen. Ich sollte mich um die Todesanzeige kümmern und wenn nötig der Presse Rede und Antwort stehen. Sie selbst komme gegen fünf Uhr wieder in die Redaktion.
    Dann hörte sie auf zu reden. Das Entscheidende hatte sie nicht gesagt. Es rührte mich, dass es ihr so schwer fiel, mir einen kleinen Betrug gestehen zu müssen.
    »Den Kommentar vom Mittwoch«, sagte ich also, »den hast du selbst geschrieben, nicht wahr? Nur, was hat dich so sicher gemacht, dass Louise das dulden würde?«
    »Wir haben das schon öfter so gemacht«, antwortete Marie. »Wenn Louise nicht fertig wurde oder keine Lust hatte oder wenn sie es vergessen hatte. Im Grunde war es so, dass ich die letzten drei Hefte fast alles alleine gemacht habe.«
    »Und hast du die Texte jedes Mal von der Schwäbischen Alb gefaxt? Etwas arg ausgeklügelt, oder nicht?«
    Marie lächelte verzwickt. »Nein. Nur diesmal. Ehrlich gesagt, ich war in Sorge um Louise, wie wir alle. Da bin ich einfach Dienstagabend auf die Alb gefahren. Irgendwie dach te ich, wenn Helga und Bettina rauskriegen, dass Louise sich im Grunde aus der Zeitung zurückgezogen hat, dann … na ja, du weißt ja, wie schwierig sie manchmal sind. Ich habe immer gehofft, dass Louise mir die Redaktionsleitung offiziell zuweist. Sie wollte auch, aber sie war in letzter Zeit seltsam vergesslich und … nun ja, man muss schon sagen: verwirrt oder depressiv. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht. Mit Recht, wie sich jetzt herausstellt. Vielleicht, wenn ich sie … wenn man mit ihr hätte reden können … Sie ist richtiggehend verfallen. Sie sprach davon, dass sie heiraten wolle, einen Mann, meine ich. Und wie sie über die Frauen schimpfte, so böse. Es sei doch alles sinnlos, meinte sie. Frauen verkaufen sich für einen Diamanten oder einen Pelzmantel. Die Amazo ne , das sei Perlen vor die Säue geworfen. Ich habe Louise manchmal gar nicht mehr wiedererkannt.«
    Mit anderen Worten, Marie besaß einen Schlüssel zum Monrepos, das für uns alle mit einem Tabu belegt war. Und sie war auch schon dort gewesen.
    »Das wird heikel«, bemerkte ich, »wenn die Polizei auf die Sache mit dem Fax kommt. Es sieht sehr nach konstruiertem Alibi aus.«
    »Aber die Polizei geht doch von Selbstmord aus.«
    »Trotzdem wird sie sich Louises Haus auf der Alb anschauen.

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