Vergeltung am Degerloch
einer Bastverkleidung am Ofen für sechstausend Mark hatte ablösen müssen. Noch fehlte mir ein Tisch. Aber ich stand in Verhandlungen mit Sally, die einen übrig hatte.
Ich stellte den Fernseher an, damit ein wenig Farbe in den Salon kam. Das Fenster ging auf einen Hinterhof, in dem ein KfZ-Betrieb seine Heimstatt hatte. Vom Küchen- und Schlafzimmerfenster hatte ich einen schönen Ausblick auf die Haltestelle Stöckach und den Bunker der Staatsanwaltschaft gegenüber.
Ich hatte genügend Zeit, mich aufzustylen. Nach einer Stunde konnte ich als Star des Films Eine Frau steht ihren Mann aus dem Haus gehen: dunkler Anzug, Weste, Binder, Krawattennadel, Taschentuch in der Brusttasche, Schulterklappentrenchcoat, streng gekämmte Haare, Narbe im Gesicht.
Stadteinwärts war die Straßenbahn leer. Die Hausfrauen kochten jetzt, und die Jugend von damals war noch nicht ins Kino aufgebrochen. Alle anderen hatten sowieso ein Auto. Ich besaß auch eines, aber ich bewegte es ungern, um meinen Parkplatz nicht zu gefährden.
4
Es gibt Leute, die erkennen einen Lehrer zehn Meter gegen den Wind oder Theologen am Hinterkopf. Ich erkannte Journalisten am fragenden Blick. Am Eingang zum Tauben Spitz zwischen Rotlichtareal und Fresskulturregion in der sogenannten Altstadt stieß ich mit einem solchen Exemplar zusammen. Obgleich ich mir Krk als aufgedunsenen Alten mit Tomatensoßenflecken auf der Krawatte vorgestellt hatte, identifizierte ich ihn sofort. Ein verlebter Vierziger, nicht groß, aber grobknochig, schwarz behaart, außer auf dem Schädel, wo ein grauer Filz wucherte, schlecht rasiert. Er hat te ein kantiges Gesicht mit großer Nase, gefurchter, breiter Stirn, unruhigen Linien und sagenhaft großen grauen Augen, die träge und feucht auf- und zuklappten. Er war nicht gerade dünn, aber auch nicht dick. Vermutlich trank er und rauchte, aß aber nichts.
»Hoppla«, sagte er und zog den Bauch ein.
»Sie sind Herr Kraus«, sagte ich. »Ich bin Lisa Nerz.«
»Aha!«
Er hatte eine verhärmte Lesbe in unübersichtlichen lila Rö cken erwartet. Die Umstellung auf das andere Vorurteil dauerte ein paar Sekunden. Nun wusste er nicht, ob er mir die Tür aufhalten durfte oder nicht. Ich stürmte großzügig das Lokal. Unter der Decke schwebten blaue Schwaden. Um die großen Rundtische duckten sich die Leute Schulter an Schul ter unter tief hängenden Kupferlampen. Geschmälzte Maultaschen geisterten an meiner Nase vorbei. Krk prallte zum zweiten Mal auf mich, weil ich plötzlich stehen geblieben war.
»Oh! Entschuldigung.« Seine Augen glitten skeptisch über die Hockenden. »Ob wir hier Platz finden?«
Ein guter Journalist, der die richtige Frage zur richtigen Zeit stellte.
Sally winkte hinter dem Tresen. Sie zapfte gerade Bier. Am Tresen waren noch zwei Barhocker frei. Sally blinzelte mir zu. Die üppigen blonden Locken hatte sie nach hinten gebändigt.
»Hallo, wie geht’s?«, fragte sie. Ihre blauen Augen hüpften zwischen mir und Krk hin und her.
»Es geht so«, antwortete Krk. »Und Ihnen?«
Offenbar hatten Krk und ich eine gemeinsame Bekannte. Sally hatte einst als Sekretärin im Stuttgarter Anzeiger gearbeitet, ehe sie zum SDR wechselte, der inzwischen SWR heißt. Gleichzeitig jobbte sie im Tauben Spitz und in der Praxis eines Kinderarztes. Sie brauchte immer Geld für Kosme tikartikel, Fußreflexzonenmassage, die Menagerie von drei Katzen und einem Hund, mit der sie in einer kleinen Dachgeschosswohnung zusammenlebte, und den Tierarzt. Jetzt nahm sie ein Reserviert-Schildchen von einem Zweiertisch in der Ecke beim Spielautomaten und lud uns ein, Platz zu nehmen. »Was darf ich bringen?«
Sally grinste mich mit Verschwörerinnenmiene an. Ich war ihr vor einigen Jahren im Krankenhaus in die Hände gefallen. Sie hatte damals kurzerhand mein Leben gerettet, als ich mich mit Hilfe eines allergischen Schocks davonstehlen wollte. Seitdem gehörte ich zu der Menagerie streunender Viecher, die sie betreute. Als ich nach meinem Unfall nur an Krücken gehen konnte, hatte sie mir die ebenerdige Wohnung einer Freundin vermittelt und für mich eingekauft. Dafür begleitete ich sie, wann immer sie es wünschte, als Mann zu Konzerten und Partys. Sally verliebte sich gern und bevorzugt in die falschen Männer. Ich diente ihr dann als Puffer zwischen ihr und einer dauerhaften Beziehung. Dass die Männer nicht in ihre Wohnung kamen, und wenn, dann nicht blieben, dafür sorgte ihre Schäferhündin Senta.
Krk bestellte ein
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