Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Aziz niemals kriegen wird. Also fragt er: »Wissen Sie eigentlich, warum Dahir und Baseyew sich mit uns getroffen haben?«
»Um BoNT zu kaufen«, sagt Wendelin. »Botulinumtoxin.«
Dave hatte geglaubt, ihn könne nichts mehr überraschen.
Er hatte sich getäuscht.
»Sie haben Aziz verschreckt«, sagt Wendelin. »Jetzt hat er sich in seinem Versteck verkrochen.«
»Und ich dachte, Sie verstecken ihn.«
»Auf wundersame Weise wurden Ihre Bankkonten entsperrt.« Wendelin legt Dave einen dicken Ordner auf den Schoß. »Wenn Sie Scheiße bauen, kenne ich Sie nicht. Wenn Sie keine Scheiße bauen, auch nicht. Wenn Sie mit dem Arsch in der Klemme sitzen, rufen Sie nicht nach meiner Hilfe. Wenn Sie lebend wieder rauskommen, erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen einen Orden an die Brust hefte. Haben wir uns verstanden?«
»Ja, Sir.«
»Gut«, sagt Wendelin. »Dann gehen Sie und töten Sie das Arschloch.«
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Wendelin kehrt in seine Kabine zurück und weiß, dass er seine Karriere gerade auf einen Schlitten gepackt und einen steilen, vereisten Hügel hinuntergestoßen hat.
Zum Teufel damit, denkt er und setzt sich auf seine Pritsche.
Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich nicht mehr anstellen darf und einfach verdammt noch mal das Richtige tun muss.
In der Pennsylvania Avenue wird man nichts unternehmen.
Von Abdullah Aziz wollen die nichts wissen.
Würden sie Jagd auf ihn machen, gäbe es nur zwei Möglichkeiten, alle beide sind schlecht: Entweder sie kriegen ihn gar nicht, oder sie kriegen ihn, und es kommt raus, dass die wahre Absturzursache von Flug 211 vertuscht wurde. Dann rollen Köpfe.
Fast muss er bei dem Gedanken lachen.
Mir fehlen die Ressourcen, aber ein Special-Ops-Major im Ruhestand hat sie. Ich kann kein Killerkommando zusammenstellen, aber er schon – und er hat es getan. Ich darf das Monster, das hunderte von Menschen auf dem Gewissen hat und tausende weitere töten will, nicht verfolgen, aber Collins ist nicht aufzuhalten.
Und ich bete zu Gott, dass er ihn kriegt.
Bete zu Gott, dass es ihm gelingt, sein Team zusammenzutrommeln und Aziz unschädlich zu machen.
Gott weiß, die Chancen stehen nicht gut – sie stehen schlecht, sehr schlecht sogar –, aber das ist jetzt irrelevant. Wenn die Informationen der AWG stimmen, ist ein Erfolg so gut wie ausgeschlossen.
Gerade hat er Nachricht erhalten, dass der von ihnen observierte Embraer Lineage 1000 Jet vom Pariser Flughafen Le Bourget aus gestartet ist. Mit den zusätzlichen Treibstofftanks hat der EL 1000 eine Flugweite von über 8000 Kilometern, damit kommt man, ohne aufzutanken, bis auf die Malediven. Die beiden GE CF34-10E Turbofan-Triebwerke bringen es auf eine Höchstgeschwindigkeit von Mach 2.
Trotzdem könnte eine F-16 Fighting Falcon die Maschine ohne weiteres abschießen und die mordgierigen Passagiere und ihre Ladung im Ozean versenken.
Aber ich darf den Befehl nicht geben, denkt Wendelin.
Also ist Dave Collins die einzige Chance, die wir haben.
✦
Aziz wacht auf und weiß nicht, wo er ist.
Dann sieht er die Bullaugen und erinnert sich, dass er sich im Schlafraum eines Privatjets befindet.
Die Embraer hat fünf separate Kabinen, darunter auch seine Gästekabine. Aziz steht auf, geht in den Waschraum und wirft sich Wasser ins Gesicht. Dann lässt er heißes Wasser laufen und rasiert sich sorgfältig.
Das hätte auch ganz anders ausgehen können, denkt er und führt den Rasierer über seine Wange. Die Sûreté hätte ihn festnehmen können, er hätte eine Kugel in den Rücken bekommen oder durch Yusufs Männer ermordet werden können – das wäre der hohe Preis der Niederlage gewesen.
Dahir ist tot.
Baseyew ist tot.
Sechs weitere Männer sind tot.
Acht Männer getötet, und das alles für nichts und wieder nichts.
Ein einziger verwundeter Feind.
Und was noch schwerer wiegt, kein Gramm BoNT.
Eigentlich müsste ich auch tot sein, denkt er, während er sich das Gesicht abtrocknet und wieder in den Schlafraum geht. Auf dem Bett liegt ein frisches Hemd für ihn bereit. Ein neuer Anzug hängt im Zedernholzschrank. Eine silberne Kaffeekanne wurde ihm, während er sich rasierte, auf den Nachttisch gestellt.
Aziz zieht sich an.
Als er von der Katastrophe in Barcelona hörte, war er kurz davor gewesen, einfach wegzulaufen, sich irgendwo im Untergrund zu verstecken, wo dieser Collins und seine Leute ihn nicht finden können.
Aber das hätte bedeutet, alles zu opfern, wofür er so hart gekämpft hatte. Er wäre ein einsamer
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