Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

hinunter, dann steckt er sich noch einen Löffel voll Ei in den Mund.
    Yusuf hebt die Hand.
    Einer der Leibwächter steht auf.
    Aziz bleibt auf seinem Stuhl sitzen – weglaufen ist unmöglich.
    Yusuf nickt, und der Leibwächter lässt einen Aluminiumkoffer von Halliburton aufschnappen. Darin befindet sich ein Kühlbehälter, der Deckel ist mit schweren Schließbändern gesichert.
    »Ein Geschenk für dich, mein Sohn«, sagt Yusuf.
    »Was ist das?«
    »Bitte«, erwidert Yusuf, »sag ›Vater‹ zu mir, Abdullah Aziz ibn Yusuf Mansur.«
    Abdullah Aziz, Sohn des Yusuf Mansur.
    »Was ist das, baba ?«
    Mein Vater.
    Yusuf lächelt.
    BoNT.
    Ein Kilo Botulinumtoxin.

✦
    Dave und Donovan sitzen am Hafen in Alghero an der Nordwestküste Sardiniens, wo Wendelin Dave abgesetzt hat.
    »Ich muss mich wohl bei Ihnen bedanken«, hatte Dave gesagt.
    »Sie wissen, wie Sie mir danken können«, hatte Wendelin geantwortet.
    Mehr wurde nicht gesagt. Dave ging von Bord und rief unverzüglich die Nummer an, die ihm Donovan vor dem letzten Einsatz gegeben hatte.
    »Ich dachte, du bist tot«, sagt Donovan jetzt. »Wir alle haben das geglaubt.«
    »Ich auch.«
    »Was zum Teufel war da los in Barcelona?«, fragt Donovan. »Ein absolutes Riesenchaos.«
    »Zwei Dinge«, erwidert Dave. Er erzählt ihm von Miriam und Wendelin. »Aber mir macht noch etwas anderes Sorgen – woher wusste Aziz von Miriam?«
    »Woher wissen wir von ihr?«
    »Ich habe früher schon mit ihr gearbeitet.«
    »Ach du Scheiße.«
    »Was?«
    »Das kannst du nicht wissen«, sagt Donovan, »weil du nicht mit uns weg bist. Simon Norris ist nicht mehr aufgetaucht.«
    »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen …«
    »Ich will’s mir nicht vorstellen«, sagt Donovan. »Aber er hat sich bis heute nicht gemeldet.«
    »Und die anderen?«
    »Du warst der Letzte.«
    Vieles kann passiert sein. Aziz’ Leute können ihn erschossen haben. Vielleicht wurde er von der spanischen Polizei verhaftet. Aber es gibt keinerlei Hinweise. Wäre er im Gefängnis, hätte er eine Nummer gewählt, und in weniger als einer Stunde wäre ein Anwalt bei ihm gewesen.
    Aber er ist einfach von der Bildfläche verschwunden.
    Das ist nicht gut.
    »Warum hat dich Wendelin laufenlassen?«, fragt Donovan.
    »Komm mit.«
    Sie gehen in das alte Gästehaus am Strand, in dem Dave ein Zimmer bezogen hat, und Dave zeigt Donovan die Unterlagen, die Wendelin ihm gab. Donovan sieht das Material durch, blickt Dave in die Augen und sagt nun wieder: »Ach du Scheiße.«
    »Können wir das Team zusammentrommeln?«, fragt Dave.
    »Die sind in alle Winde verstreut«, erwidert Donovan.

✦
    Alessandro sieht sie aus dem Wasser steigen.
    Salz glitzert auf ihrer Haut, und sie riecht nach Meer, als sie sich auf das Handtuch neben ihm legt. Lange Arme, lange Beine, schlank, Mandelaugen.
    Das Wasser auf den Seychellen ist himmelblau, der Wellengang mäßig, und das kleine Boot, das sie an diesen privaten Strand gebracht hat, wartet in der Bucht.
    Das Boot kann warten, denkt Alessandro.
    Lange warten.
    Francesca ist Model, zum ersten Mal entdeckt hat er sie in der italienischen Vogue . Kennengelernt hat er sie an den Hängen des Monte Bianco, hat sich ihre Telefonnummer geben lassen und sie zu einem »Urlaub« eingeladen. Den er sich, wie er fand, nach dem Einsatz in Barcelona verdient hatte. Immerhin musste er sich aus einem sinkenden Fahrzeug befreien, zu einem abgelegenen Strandabschnitt schwimmen und sich heimlich aus Spanien absetzen.
    Jetzt will er Sonne, Sex und Schlaf.
    Gerade will er zwei der Komponenten miteinander verbinden, als er das Beiboot heranrudern sieht.
    »Ich dachte, ich hätte gesagt, dass wir nicht gestört werden wollen«, fährt Alessandro den Jungen an.
    »Es ist dringend«, stammelt der Junge und reicht ihm das Satellitentelefon.
    »Das will ich auch hoffen«, sagt Alessandro. Er spricht in den Hörer. »Was? Was ist los?«
    Eine Sekunde hört er zu, beobachtet Francesca, die sich Sonnenmilch auf die Schultern schmiert.
    Jetzt?, denkt er.
    Wirklich?
    Sofort?
    Cody nimmt die Welle.
    Teahupoo.
    Ein Killer.
    Die schwierigste Welle der Welt.
    Reef Break, Deep Barrel, die Welle bricht hohl über einem Korallenriff. Wenn du’s hier versaust, bist du Geschichte.
    Teahupoo bedeutet »Ort der Schädel« auf Tahitisch.
    Cody wollte hier immer schon mal hin.
    Jetzt verschwindet er in der Röhre, rast durch den Green Room, der Killer rollt über ihn hinweg wie ein irres Psychomonster, das ihn aufs Riff pressen