Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Lockheed erwartete.
Das ist jetzt das letzte Mal, denkt Dave.
Der letzte Einsatz.
Zum letzten Mal sitze ich hier, lausche dem Lärm der Triebwerke und dem Schweigen der Männer und warte darauf, dass es losgeht.
Cody hat Gehörschutz-Kopfhörer auf und hört Jack Johnson, den Soundtrack zu einem Film, der sich hinter seinen geschlossenen Augenlidern abspielt. Alessandro sieht aus, als würde er tief schlafen. Willem blickt geradeaus, in sich versunken, zweifelsohne geht er den Einsatz in Gedanken durch. Ulrich überprüft, wie immer, seine Sprengkörper. Als Lev mit einem Geschenk am Treffpunkt erschien, war das für ihn wie Weihnachten.
»Wo hast du das her?«, fragte Ulrich, nachdem er den Behälter aus Hartplastik geöffnet und das Octanitrocuban, das C8, darin entdeckt hatte.
»Frag nicht«, erwiderte Lev. »Sagen wir mal, in Tel Aviv gibt es Leute, die unserem Vorhaben nicht ohne Sympathie begegnen. Kannst du’s noch gebrauchen?«
»Aber ja. Danke.«
» Masel tov .«
Ulrich bereitet jetzt den Sprengkörper mit dem C8 vor, und Dave sieht völlig entspannt dabei zu, wie der Mann mit einem Stoff hantiert, der sie alle im Bruchteil einer Sekunde ins Jenseits befördern könnte. Michel beobachtet ihn ebenfalls interessiert, von Profi zu Profi.
Amir wirkt, als wäre er sprichwörtlich meilenweit entfernt, und Dave fragt sich, ob er wieder auf der Terrasse in Barcelona steht.
»Mach dir keine Sorgen«, hatte er ihn im Trainingscamp in der Tatra wieder aufbauen wollen. »So was kann jedem mal passieren.«
Eine gut gemeinte Lüge.
So was passiert eben nicht jedem mal. Super ausgebildeten Special-Ops, den weltweit besten Elitekriegern, passiert so was nicht. Sie machen nicht einfach dicht und erstarren, und Dave hofft, dass es bei Amir das erste und letzte Mal gewesen sein wird.
Sie sind auf seine Sprachkenntnisse angewiesen.
Verdammt, sie brauchen ihn auch als Kämpfer, und der Palästinenser muss das, was in Barcelona war, aus seinem Kopf vertreiben. Special-Ops brauchen in Bezug auf Niederlagen – ebenso wie Quarterbacks und Torhüter – ein extrem kurzes Gedächtnis. Daraus lernen und weitermachen.
Dave blickt zu Donovan rüber, der ihn hämisch angrinst.
Das alles haben sie schon einmal zusammen erlebt – das Warten vor dem Einsatz. Das ist das Schlimmste, die stillen Minuten, bevor es losgeht. Zu viel Zeit zum Nachdenken, zum Überlegen, zum Grübeln über das, was passieren könnte und all das, was man noch hätte tun wollen, aber nicht getan hat.
Donovan sieht auf die Uhr und sagt: »Mission plus fünfundfünfzig.«
Noch fünfundfünfzig Minuten bis zum Absprung.
Die Männer checken ihre Fallschirme noch einmal doppelt und dreifach, achten darauf, dass die Steuerleinen richtig verstaut, Trenn- und Reservegriff in der Kletttasche befestigt sind sowie das Drei-Ring-System in Ordnung und korrekt eingehängt ist.
Der Fallschirm selbst ist ein MMS 420 mit Blue-Track-Kappe und Airtec Cypres, einem Öffnungsautomaten, der bereits so programmiert ist, dass sich der Schirm zehn Sekunden nach dem Sprung öffnet, sollte der Springer aufgrund der enormen Höhe das Bewusstsein verloren haben. Die meisten Fallschirme sind mit einem Reserveschirm ausgestattet. Auchdieser hier hat einen, außerdem eine Fernsteuerung zur Öffnung des Schirms, die vom Flugzeug aus per Computer bedient werden kann.
Vielleicht lande ich bewusst- und orientierungslos, denkt Dave, aber wenigstens lande ich. Und schlage nicht mit 250 Stundenkilometern auf – das ist die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Springers bei ungeöffnetem Schirm zum Zeitpunkt des Aufpralls – und reiße einen Krater in die Erde.
»Mission plus fünfunddreißig«, sagt Donovan.
Dave setzt seinen Ops-Core-Helm auf, eine Weiterentwicklung gegenüber dem alten HGU-55, insofern er sowohl beim Sprung wie auch im Gefecht getragen werden kann. Er besteht aus Kohlenstoff und einem Polyethylen mit ultrahohem Molekulargewicht, ist aber um zwanzig Prozent leichter als der alte Helm, was sowohl für den Sprung als auch im Gefecht von entscheidendem Vorteil ist. An der Seite ist ein Headset befestigt, dass sich ein- und ausklappen lässt, links sitzt ein L-3 GPNVG-18 – ein Vier-Röhren-Nachtsichtgerät, das ein Blickfeld von 97 Grad erfasst.
Auf den Helmen sind Cyalume MILSPEC Chemical Light Circles angebracht, die mit Nachtsichtgerät meilenweit zu erkennen sind.
Cody ist der PT für diesen Sprung.
Physiology Technician .
Eigentlich wäre das Simons Job
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