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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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ungebremst, aus enormer Höhe. Aber das Gehirn eines Elitesoldaten ist anders als dass eines »Normalsterblichen«, und zwar in zweierlei Hinsicht.
    Die Amygdala eines Elitesoldaten reagiert weniger empfindlich. Gefahr wird von ihm nicht genauso wahrgenommen wie von anderen Menschen. Wenn man sagt, diese Männer seien »anders gepolt«, dann ist da zumindest teilweise etwas Wahres dran.
    Außerdem ist ihr präfrontaler Cortex darauf trainiert, Gefahren zu analysieren. Dem ganzen gnadenlosen Training liegt letztlich das Bestreben zugrunde, den präfrontalen Cortex so weit zu stärken, dass er die Amygdala dominiert – im Prinzip, um die in einem bestimmten Moment notwendigen biochemischen Reaktionen »anweisen« zu können.
    Ein Sprung aus einem Flugzeug ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Akt wider die Natur. Die Amygdala schreit: »Nein, tu’s nicht, halt dich am Türgriff fest und lass bloß niemals los.«
    In 9000 Metern Höhe aus einem Flugzeug zu springen und 30 Kilometer weit durch die Luft zu einer kleinen Landezone zu navigieren, um gegen einen zahlenmäßig zwölffach überlegenen Feind zu kämpfen, ist absolut irre.
    Der präfrontale Cortex eruiert die Gefahr und ist derselben Meinung, aber der von der Amygdala unabhängige, hochgradig trainierte präfrontale Cortex eines Elitesoldaten analysiert diese Information anders – man spricht auch von einem OODA Loop .
    Observation , Orientation , Decision , Action .
    Observation – gleich springt er. Die Amygdala reagiert relativ verhalten.
    Orientation – der präfrontale Cortex versichert ihm, dass er weiß, was er tut, und es dank seiner Ausrüstung und Ausbildung überleben wird.
    Decision – er wird es tun. Im Prinzip heißt das: »Fick dich, Amygdala – halt’s Maul, und gib mir Saft.«
    Action .
    Ulrich springt kopfüber, gefolgt von Alessandro und Amir.
    Michel, dann Willem und Lev.
    Cody dreht sich zu Dave um, zeigt ihm den hawaiianischen Shaka -Gruß und ist draußen.
    Dave geht in Stellung – die Augen geöffnet, das Kinn auf die Brust gepresst, Ellbogen fest an die Seite.
    Der Oberkörper leicht vorgebeugt, die Knie leicht eingeknickt.
    Dann springt er.
    In 9000 Metern Höhe herrscht eine Temperatur von minus 44 Grad.
    Dabei sind der kalte Wind und die Luftströmung, die ein mit 200 Stundenkilometern aus einem Flugzeug fallender Mann erzeugt, noch gar nicht mitgerechnet. Dave trägt einen Anzug aus Polypropylen unter dem Tarnanzug, trotzdem drohen ihm Frostbeulen und Unterkühlung.
    Dave streckt Arme und Beine von sich, bildet ein X, um sein Falltempo zu senken, denn er weiß, dass er nicht mehr als 180 draufhaben sollte, wenn sich der Schirm öffnet. Ist man sehr viel schneller, kugelt man sich unter Umständen durch die Wucht Arme und Beine aus, und als Sockenpuppe nutzt man weder sich selbst noch sonst jemandem was.
    Das PHAOS beginnt sofort, in effizienten Schüben – statt in konstantem Fluss – Sauerstoff durch die Maske zu pumpen. Um bei Bewusstsein zu bleiben, braucht der Mensch eine Sauerstoffsättigung von 87 bis 97 Prozent – in 9000 Metern Höhe sinkt sie auf unter 70 Prozent. Das PHAOS zwingt Sauerstoff mit höherem Druck in die Lungen als die Umgebungsluft, so dass die Sauerstoffsättigung über den kritischen 87 Prozent bleibt.
    Dave hat kein wirkliches Gefühl für sein eigenes Tempo, denn es gibt keine Fixpunkte, an denen er sich orientieren könnte, sein windgepeitschter Körper flattert, und sein Gesicht fühlt sich an, als würde es unter gewaltigem Druck zermalmt.
    Zehn Sekunden lang fällt er durch den schwarzen Himmel. Er weiß, dass das CYPRES – Cybernetic Parachute Release System – den Schirm in wenigen Sekunden öffnen wird und wenn nicht …
    Wird er das Problem schon irgendwie lösen.
    Also genießt er den Sprung.
    Schneidet mit 180 Sachen durch die Luft.
    Wie ein verfluchter Superman.
    Neun Sekunden später öffnet sich der Schirm.
    Der eingebaute Computer sendet eine Nachricht an den »Cutter«, dieser durchschneidet die Verschlussschlaufe, mit der der Container des Schirms verschlossen ist, der Schirm wird nach außen geschleudert und entfaltet sich.
    Daves freier Fall wird abrupt gebremst, er fliegt jetzt mit »nur« noch 140 Stundenkilometern Richtung Erde.
    Er prüft seinen Höhenmesser – 5500 Meter – dann setzt er das Nachtsichtgerät auf und hält nach dem orangefarbenen Leuchten von Codys MILSPEC unter sich Ausschau. Als er es entdeckt, orientiert er sich an der Kette aus Leuchtkreisen, die

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