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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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gewesen, aber …
    Cody hat die entsprechende medizinische Ausbildung durchlaufen, also übernimmt er die Aufgabe, die darin besteht, darauf zu achten, dass alle ihre Atmungsgeräte für den Sprung vorschriftsmäßig vorbereiten. Die Helme sind zusätzlich mit einem PHAOS- Parachutist High Altitude Oxygen System – ausgestattet, das die Atmung der Männer vor und während des Sprungs reguliert.
    »Vor-Atmung«, befiehlt Cody.
    Jeder stöpselt den Schlauch seiner MBU-12P-Maske in die OXCON, die Sauerstoff-Konsole, eine sieben mal fünf Zentimeter große Metallbox mit acht Anschlüssen. Die OXCON verteilt und reguliert den Sauerstofffluss in die einzelnen Masken. Mit dem »Voratmen« werden neunzig Prozent aller Fälle von Dekompression bei HAHO- und HALO-Sprüngen verhindert. Cody holt Luft aus einer separaten kleineren OXCON.
    Sie sitzen und atmen dreißig Minuten lang Sauerstoff.
    Dann beginnt die Maschine ihren Aufstieg auf 9000 Meter Höhe.
    Dave prüft ein letztes Mal seine Ausrüstung – seinen Höhenmesser, seine Freifallstiefel, seine Gentex-Brille und die Handschuhe aus Polypropylen. Die Körpertemperatur des Menschen nimmt pro 330 Meter Höhenanstieg um ein Grad ab, ohne die Handschuhe würden seine Hände sofort einfrieren und er verlöre die Fingerfertigkeit, die er für die anstehenden Aufgaben dringend braucht.
    Ein Rucksack mit Ausrüstung und Waffen ist an einem Geschirr zwischen Daves Beinen befestigt, erst kurz vor der Landung wird er die Schnur lösen.
    Die Waffen darin sind nicht die, die er beim Einsatz benutzen wird. Schwere Gegenstände fallen schneller als leichte, deshalb wurde die gesamte Ausrüstung unter den Soldaten verteilt, um Gewichtsunterschiede auszugleichen. Damit wird gewährleistet, dass alle mit derselben Geschwindigkeit fallen und dementsprechend gleichzeitig landen. Auf dem Boden angekommen, werden sie sich versammeln und die Ausrüstung sortieren.
    Ulrich fungiert als Absetzer.
    Das Team geht im »Stapel« raus, Ulrich ist als erster und deshalb unterster Springer für die Navigation zur LZ verantwortlich. Ein S&S NavBoard Mega ist am Brustgurt seines Fallschirms befestigt und mit einem digitalen Höhenmesser, einem beleuchteten Magnet-Kompass und einem tragbaren GPS versehen, das bereits auf die LZ eingestellt wurde.
    Nach Beendigung des Voratmens trennt sich Ulrich von der OXCON, steht auf und geht an die Rampe der C-130, die sich hydraulisch öffnet. Die durch die Luke eindringende Luft ist arktisch, lässt die Sprungbrillen beschlagen.
    Ein rotes Lämpchen leuchtet an der Luke.
    Das Team stellt sich auf und checkt sich gegenseitig durch – Helme, Brillen, Gurte, Sauerstoffflaschen.
    Dave hört, dass die Turbotriebwerke in der dünnen Luft tausend Meter über der empfohlenen maximalen Flughöhe zu kämpfen haben.
    Das Lämpchen an der Rampe schaltet von Rot auf Grün.
    Los.
    Die Angst vor dem freien Fall ist dem Menschen angeboren, ein evolutionäres Überbleibsel aus der Zeit, als wir noch auf Bäumen lebten.
    Wenn man merkt, dass man fällt – oder kurz davor ist zu fallen –, senden die Neuronen aus dem Auge Signale an einen kleinen walnussförmigen Teil des Vorderhirns namens Amygdala und lösen damit eine Kettenreaktion aus. Die Amygdala schickt die Information weiter an den Hypothalamus, der ein Kortikotropin erzeugendes Hormon (CRH) produziert, das wiederum die Hirnanhangdrüse so stimuliert, dass sie Cortisol absondert. Das Cortisol setzt Glukose frei, die Treibstofffür Muskeln und Gehirn liefert, so dass diese auf die Bedrohung reagieren können. Außerdem wird der Blutfluss gehemmt, weshalb der Blutverlust bei einer Verletzung im freien Fall sinkt.
    Diese Reaktion läuft automatisch ab, deshalb durchzuckt einen augenblicklich »Angst«, wenn man zum Beispiel rückwärts vom Stuhl fällt.
    Aber das ist nicht die einzige Reaktion. Im selben Moment, in dem die Amygdala die biochemische Kettenreaktion auslöst, sendet sie eine Botschaft an den präfrontalen Cortex, an den Teil des Gehirns, der für die bewusste Einschätzung einer Gefahr zuständig ist. Der präfrontale Cortex analysiert die sensorische Information nach Aussehen, Geruch, Klang und Beschaffenheit und entscheidet, ob die Gefahr real ist, woraufhin er die Fortsetzung der biochemischen Reaktion »autorisiert« oder den Vorgang gegebenenfalls – sollte sie nicht real sein – »abbricht«.
    Die Gefahr ist gerade allerdings sehr real – das Gehirn weiß, dass der Körper gleich fallen wird,

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