Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
widersetzen werde, wenn sie mich einholen, aber sie werden kein öffentliches Aufsehen riskieren, das sich nicht ohne weiteres erklären lässt. Wahrscheinlich lassen sie mich an der langen Leine, weil sie denken, dass sie mich später sowieso kriegen. Sie hängen sich so lange an mich dran, bis der Moment günstig ist, dann kassieren sie mich ein und stecken mich in »Schutzhaft«.
Aber so weit wird es nicht kommen.
Dieselben Leute, die Dave »fliehen und ausweichen« beigebracht haben, wollen jetzt verhindern, dass er genau das tut. Jeder Angehörige einer Spezialeinheit lernt, wie man aus Gefahrengebieten wieder rauskommt – und das nicht nur in ländlicher Umgebung, wo die meisten Kämpfe stattfinden, sondern auch in der Stadt.
Dave ist ein bisschen eingerostet, aber ihm bleibt nicht die Zeit, sich deshalb Sorgen zu machen. Zuerst sucht er eine »Reibefläche«, um den Linebacker in der Menge abzuhängen.
Er geht zum World War II Memorial, das selbst an einem eiskalten Tag wie diesem zahlreiche Besucher anzieht. Viele von ihnen sind alte Männer, warm eingepackte über Achtzigjährige, einige stützen sich auf Gehhilfen. Wenige lächeln oder unterhalten sich leise, die meisten starren schweigend auf die Steintafeln mit den Namen, an die sich unsagbare Erinnerungen knüpfen – Peleliu, Normandie, Pearl Harbor.
Dave schlängelt sich durch die Menge, aber der Linebacker ist wendiger, als er aussieht, und bleibt an ihm dran. Auch hater den Vorteil, so groß zu sein, dass er die Menge überragt, und Dave weiß, dass er die Koordinaten längst über Funk durchgegeben hat und sie ihm den Weg abschneiden werden.
Eine Weile wird es allerdings noch dauern, bis sich die angeforderten Kollegen in Stellung gebracht haben, deshalb beschleunigt Dave seinen Schritt und läuft auf die Subway-Station Metro Center zu. Drei Linien verlaufen hier, in jeweils zwei Richtungen, sein Verfolger wird also sechs Möglichkeiten im Auge behalten müssen.
Der Linebacker steht schon oben an der Rolltreppe, schiebt sich durch die Menschenmenge.
Stolper, denkt Dave. Fall hin.
Dave kommt unten an, will sich ein Ticket am Automaten kaufen.
Aber der Linebacker holt auf, und Dave sieht ihn an, wie um zu sagen: Und was willst du hier unten machen, du Arschloch?
Nichts.
Dave nimmt sein Ticket und passiert die Schranke.
Der Linebacker hat eine Dauerkarte und folgt ihm, spricht in sein Mikro am Revers.
Was gibst du durch?, fragt sich Dave.
Die blaue Linie? Orange? Rot? Welche Richtung?
Dave blickt zur Anzeigetafel und sieht, dass in zwei Minuten ein Zug der orangefarbenen Linie in östlicher Richtung einfahren wird. Er nimmt den Gang zur orangefarbenen Linie und bleibt auf dem Bahnsteig stehen, auf dem die Züge Richtung Osten halten.
Der Linebacker positioniert sich in circa sieben Metern Entfernung und gibt dies über Funk durch.
Als der Zug einfährt, dreht sich Dave um und verschwindet im Gang, der zur roten Linie führt.
Der Linebacker hinterher.
Dave entscheidet sich für den Bahnsteig Richtung Norden. Ein Zug nach Shady Grove fährt ein.
Die Türen gehen auf, und diesmal steigt Dave ein.
Der Linebacker steigt in denselben Waggon, beide bleiben stehen, halten sich an den Schlaufen fest, sehen einander an.
Aber Dave merkt, dass der Linebacker in der Luft hängt. In der Bahn kann er nicht viel machen, er kann keine Verstärkung anfordern, weil er nicht weiß, wo ich aussteige.
Die Haltestellen ziehen vorüber.
Farrugut North, DuPont Circle, Woodley Park, Cleveland Park …
Van Ness, Tenleytown …
Friendship Heights …
In Bethesda steigt Dave aus.
Er geht den Bahnsteig entlang zur Rolltreppe, der Linebacker direkt hinter ihm, aber nachdem er ungefähr drei Meter mit der Rolltreppe nach oben gefahren ist, springt Dave über den Handlauf, landet wieder auf dem Bahnsteig und rennt zum Fahrstuhl. Wie ein Verrückter drückt er auf den Knopf, während der Linebacker kehrt macht und versucht, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen.
Die Fahrstuhltür geht auf, Dave steigt ein und drückt auf den Knopf fürs Erdgeschoss.
Die Türen bewegen sich schon aufeinander zu …
Als sich ein Fuß dazwischenschiebt und der Linebacker in den Fahrstuhl kommt.
Dave hat ihm genau die Situation verschafft, die er haben wollte – jetzt sind sie allein, er kann Dave überwältigen und mitnehmen.
Aber auch Dave wollte das.
Die Verfolgungsjagd hätte nicht ewig so weitergehen können – früher oder später hätten sie ihn
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