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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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erwischt.
    Der Linebacker ist größer und stärker.
    Sehr viel größer und stärker.
    Dave zögert nicht.
    Er hebt die Hände.
    Rammt dem Linebacker seine Rechte in die Leber. Der klappt vornüber. Dave verpasst ihm zwei weitere Gerade an den Kiefer, gefolgt von einem Knie in den Solar Plexus.
    Der Linebacker fällt auf die Knie.
    Dave verschränkt die Finger, schlägt ihm ins Genick. Jetzt kauert der Linebacker auf allen Vieren. Mit einem Griff in dessen Jackentasche sichert sich Dave seine Sig Sauer, hält ihm den Lauf unter die Nase und sagt: »Bleib hier. Wenn du mir folgst, erschieß ich dich.«
    Der Linebacker nickt.
    Dave steckt sich die Sig Sauer in den Hosenbund, fährt wieder runter zu den Zügen und steigt aus.
    Jetzt braucht er nur ein bisschen Zeit und Glück.
    Der Linebacker wird über Funk Hilfe nach oben bestellt haben, und wenn er nicht auftaucht, werden sie runterkommen. Also braucht Dave einen Zug und zwar schnell, laut Anzeige kommt der nächste erst in drei Minuten – Richtung Norden. Dreißig Sekunden später wird einer in die entgegengesetzte Richtung erwartet.
    Man muss nicht Einstein sein, um zu wissen, dass Zeit relativ ist.
    Dave behält mit einem Auge den Bahnsteig im Blick, mit dem anderen den Fahrstuhl.
    Komm schon, komm schon.
    Bevor die Kavallerie anreitet, bevor der große halb bewusstlose Mann im Fahrstuhl entdeckt wird, oder ihm plötzlich neue Eier wachsen und er wundersam erstarkt wieder rauskommt.
    Der Zug Richtung Norden fährt ein.
    Dave steigt ein, lässt sein Handy auf einen der Sitze fallen und springt schnell wieder raus, bevor sich die Türen schließen. Dann geht er auf die andere Seite des Bahnsteigs und springt in den Zug nach Süden, fährt bis Union Station und kauft sich ein Ticket für den Acela.
    Den Expresszug nach New York.
    Die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden. Dave steigt Penn Station aus, sucht sich ein Hotel in Hell’s Kitchen und stellt sich lange unter die heiße Dusche. Nach der Schlägerei mit dem Linebacker tun ihm sämtliche Glieder weh, und die Knöchel seiner rechten Hand sind aufgeschlagen und aufgeschürft. Er legt die Sig Sauer auf den Nachttisch und geht ins Bett. Dabei ist ihm die Ironie durchaus bewusst: Er ist jetzt der Flüchtige, der Gejagte, und seine Regierung sucht ihn – nicht Abdullah Aziz.
    »Findet ihn, verdammt noch mal«, sagt Wendelin.
    Captain Steven Palmer würde ja gerne. Erstens hat er Collins eine Gehirnerschütterung zu verdanken, zweitens macht ihm sein Chef sonst die Hölle heiß.
    Wendelin sieht aus dem Fenster seines Büros bei der DIA.
    Viel gibt es nicht zu sehen – eine alte, teilweise stillgelegte Airbase in Anacostia.
    »Haben wir irgendeine Ahnung, wohin der Mann verschwunden sein kann?«, fragt er. Er ist stinksauer auf Palmer, stinksauer auf Moretti, weil er sich hat verprügeln lassen, aber am meisten hasst er sich selbst, weil er Collins unterschätzt hat.
    Ein ehemaliger Soldat der Delta Force, Herrgottnochmal, denkt Wendelin.
    Du hast dir seine Ausbildung doch selbst ausgedacht – ausgerechnet du solltest wissen, wozu er fähig ist, auch vier Jahre nach seinem Ausscheiden noch. Ein ehemaliger Angehöriger einer Spezialeinheit mit einer Waffe, die er auch noch mit verbundenen Augen und verkehrt herum von der Decke baumelnd mühelos auseinandernehmen und wieder zusammensetzen könnte. Einer der gefährlichsten Männer der Welt ist spurlos von der Bildfläche verschwunden und auf Rache versessen.
    Und da ist noch was, denkt er.
    Gib’s zu.
    Du bist wütend auf dich selbst, weil du einen Mann in die Schranken weisen willst, der seine Familie verloren und seinem Land gedient hat – einen Helden, der Gerechtigkeit fordert und auch verdient.
    Und was noch schlimmer ist, du musst tatenlos zusehen, wie ein Massenmörder wie Aziz einfach so davonkommt.
    Aber betrachte die Lage mal insgesamt, sagt er sich. Die nationalen Interessen, die nationale Sicherheit, die Wirtschaftslage. Tu, was du tun musst.
    »Wir haben ihn, er befindet sich im Nordwesten von Washington«, sagt Palmer.
    »Wir empfangen Handysignale aus Rockville. Die Falle schnappt zu.«
    Zwei Stunden später rücken Palmer und drei weitere Agenten vor einer Wohnung in Rockville an. Mit gezogenen Pistolen treten sie die Tür ein.
    Ein schlaksiger, pickliger Teenager steht mit sperrangelweit geöffnetem Mund und einem Handy in der Hand vor ihnen, starrt auf die Pistolen.
    »Ich wollte nur mal kurz in Barcelona anrufen«, jammert er.


    Am Morgen

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