Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
verteilt – reichen aus, um die gesamte Weltbevölkerung auszulöschen.
Aziz will nicht mal annähernd vier Kilo kaufen.
Nur genug, um es in die U-Bahn-Systeme von New York City, Boston, Chicago, Los Angeles und Washington DC zu pumpen.
Aziz weiß, dass die Amerikaner mit einem weiteren Raketenangriff rechnen.
Oder einer Bombe.
Vielleicht auch einer Flugzeugentführung.
Aber der öffentliche Nahverkehr ist unbewacht, einem Angriff wie diesem, bei dem viele Tausende ums Leben kommen werden, schutzlos ausgeliefert. Die Wirtschaft wird gelähmt, die Gesellschaft demoralisiert. Man muss sich nur mal überlegen, welches Chaos Omu Shinrikyo mit einer kleinen Menge Sarin in der U-Bahn von Tokio verursacht hat. Und dabei starben damals nur dreizehn Menschen.
Im Vergleich zu dem bevorstehenden Anschlag wird der auf Flug 211 wie ein Akt der Barmherzigkeit wirken.
Amerika, das über die größten Waffen der Welt verfügt, wird der kleinsten zum Opfer fallen.
Einem Bakterium.
Das ist so herrlich gerecht.
Aber zuerst müssen wir das Gift beschaffen.
Damals, in den Achtzigerjahren, rissen sich deutsche Unternehmen darum, Botulinumtoxin an Saddam Hussein zu liefern. Nicht weniger als dreizehn von Husseins berüchtigten SCUDS waren mit BoNT befüllt. Bis 1995 hatten die Irakis 19 000 Liter BoNT produziert, 10 000 davon in Raketensprengköpfe eingebaut.
Aber Saddam hatte nicht den Mumm, das Zeug einzusetzen, denkt Aziz jetzt, angeblich wurde das Programm wieder eingestellt.
Schade.
Bei ihrer Kampagne gegen »Massenvernichtungswaffen« müssen die Amerikaner etwas von dem irakischen BoNT mitgenommen haben. Und die Jordanier … Aziz weiß sicher, dass der Muchabarat in Al-Jafr mit BoNT an lebenden Gefangenen experimentiert hat.
Er hat die Resultate gesehen.
Die Wachen machten sich über ihn lustig, als sie ihn an den Zellen der Männer vorbeischleiften, denen sie Spuren des Giftes injiziert hatten. Ihre Gesichter waren grotesk gelähmt, ihre Gliedmaßen schlaff, ihre Atmung glich dem Keuchen von Sterbenden.
»Willst du enden wie der da?«, hatten die Wachen ihn gefragt. »Können wir arrangieren.«
Nein, denkt Aziz.
Ich kann das arrangieren.
»Beschafft mir das Gift«, sagt Aziz jetzt. »So schnell wie möglich, egal was es kostet.«
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Dana Wendelin sitzt im United States Naval Observatory und kassiert einen Anschiss vom Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten.
Wendelin kennt Vizepräsident John Leighton seit seiner Zeit als Vorsitzender des Senate Select Committee on Intelligence. Er hatte ihn häufig gebrieft und ihm nachrichtendienstliche Informationen zukommen lassen, um die Finanzierung durch das Committee zu sichern. In den Pubs von Georgetown hatten sie das ein oder andere Bierchen getrunken, Football geguckt und sogar ein oder zwei Spiele der Washington Nationals zusammen durchgestanden, damals, als das Team noch so erbärmlich spielte.
»Ich dulde das nicht!«, brüllt Leighton. »Ich dulde das nicht! Der Präsident ist außer sich, die Kenianer schreien Zeter und Mordio …«
Er ist rot im Gesicht, Adern treten auf seiner Stirn hervor, und Wendelin fürchtet fast, er könne den Schlaganfall erleiden, den ihm so viele aus engsten Regierungskreisen schon lange prophezeien.
Steaks, Scotch und Zorn sind eine tödliche Mischung.
Aber Wendelin kriegt die volle Ladung ab. Verfluchte Scheiße aber auch – ein Massaker an Islamisten draußen an der kenianischen Küste. Und unter den Opfern Philip Makem, ein abtrünniger Amerikaner.
»Die beiden Zielpersonen«, sagt Wendelin ruhig, »gehörten allem Anschein nach zum Kreis um Aziz, möglicherweise waren sie für den Anschlag auf Flug 211 verantwortlich.«
»Es hat nie einen Anschlag auf Flug 211 gegeben«, sagt Leighton.
»Glauben wir unsere Märchen jetzt schon selbst?«, fragt Wendelin. »Das ist der sichere Weg in den Wahnsinn.«
»Und eine Privatarmee, die auf ausländischem Boden Massaker verübt, ist es nicht?!«
»Doch«, räumt Wendelin ein. »Und zwar weil wir selbst Jagd auf Aziz machen sollten, anstatt diesen Job Collins und seiner Söldnertruppe zu überlassen.«
Leighton schüttelt den Kopf und setzt sich. »Wir sollten Frieden schließen.«
»Wovon zum Teufel reden Sie?«
»Wir befinden uns seit zwölf Jahren im Krieg«, sagt Leighton. »Wir haben Bin Laden getötet, den Kern der al-Qaida erheblich dezimiert, die wichtigsten Führer der Taliban getötet. Irgendwann muss das alles ein Ende haben.«
»Aber so weit sind wir
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