Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Lautsprecher eine Stimme ertönt.
»Motor aus! Wir kommen an Bord!«
Michel fängt an zu lachen.
Dave fragt sich, ob er sie noch alle hat.
Dann sieht er, warum.
Da liegt kein kenianisches Schnellboot, sondern ein somalisches.
Piraten.
Die ein Schiff mit neun der weltweit besten Soldaten überfallen wollen.
Michel schnappt sich ein Megaphon und brüllt:
» Va te faire foutre !«
Fickt euch.
Dave sitzt unter Deck in Donovans beengter Kajüte.
Letzterer gießt zwei Gläser Scotch ein, und sie trinken.
»Tut mir leid wegen Rolf«, sagt Dave.
Donovan zuckt mit den Schultern. »Für ihn gilt dasselbe, wie für alle anderen auch – er ist das Risiko freiwillig eingegangen.«
»Hatte er Familie?«
»Eine Exfrau in Johannesburg und einen Sohn, den er selten gesehen hat«, sagt Donovan. »Das Übliche. Aber wir schicken ihnen sein Geld.«
Sie bleiben eine Weile schweigend sitzen.
Dann fragt Donovan: »War es das wert? War’s so, wie du’s dir vorgestellt hast? Deine Vergeltung?«
»Ich höre nicht auf«, erwidert Dave. »Falls du darauf hinauswillst.«
Bei Sonnenaufgang tragen sie Rolfs Leichnam zum Heck.
Simon hatte Rolfs alte rhodesische Flagge zwischen seinen Habseligkeiten entdeckt und ihn darin eingewickelt. Darunter steckt er in seinem Tarnanzug, mitsamt dem Barett der Selous Scouts und seinen Abzeichen. Sein TOPS-Messer klemmt zwischen den vor der Brust verschränkten Händen.
Das Team – alle in ihren besten Uniformen, sofern sie sie zusammenbekommen haben – steht stramm.
»Gott weiß, dass ich kein Geistlicher bin«, sagt Donovan, »und in Momenten wie diesem gibt es auch nicht viel zu sagen. Er ist den Soldatentod gestorben und ich denke, wir alle würden diesen einem Ende im Altersheim vorziehen. Aber wir alle haben auch zu viele Freunde begraben und werden weitere begraben müssen. Rolf hat eine bessere Beisetzung verdient als diese, aber wir haben keine andere Möglichkeit, und ich vermute, ihm selbst hätte es am allerwenigsten ausgemacht. Rolf war staatenlos – wir waren seine Heimat, und ich hoffe, jetzt findet er eine bessere.«
Donovan nickt.
Während die anderen salutieren, heben Ulrich und Willem das Sperrholzbrett mit dem toten Rolf an, lassen ihn in den Ozean gleiten.
Dave staunt darüber, dass Cody Horn blasen kann, aber er kann es.
Wunderschön.
Er spielt »Taps«, das Trauerstück.
Der vertraute, schwermütige Refrain übertönt das Brummen der Schiffsmotoren. Der letzte Ton bleibt in der Luft hängen, als wollte er nicht loslassen.
»Wegt reten !«
Die Männer lassen die salutierenden Hände sinken.
»Und jetzt«, sagt Donovan, »betrinken wir uns.«
Dave bleibt noch am Heck stehen, während die restliche Crew nach unten geht. Er blickt hinaus aufs Wasser und denkt über Donovans Frage nach.
War es das wert? War’s so, wie du’s dir vorgestellt hast?
Deine Vergeltung?
Er weiß es nicht.
Weil es noch nicht vorbei ist.
Vorbei ist es erst, wenn er Aziz getötet hat.
✦
Aziz steigt in die Brüsseler Metro.
So hat er sich nicht mehr gefühlt seit den entsetzlichen Tagen und Nächten in Al-Jafr, wo er ständig damit rechnen musste, dass die Mukhabarat kommen und ihn wieder foltern.
Angst.
Ein Knoten in seinem Magen, der nicht verschwinden will.
Saif ist tot. Sein Kamerad, sein Freund, der Mann, der ihn in Al-Jafr am Leben erhielt. Der Amerikaner Anwar auch. Außerdem elf seiner besten Soldaten, einfach so niedergemäht.
Das müssen die Amerikaner gewesen sein, denkt er, während der Zug seinem nächsten Halt entgegenrumpelt. Nur die Amerikaner wären zu einer solchen Aktion in der Lage, aber sie halten sich bedeckt. Es steht nichts in den Zeitungen, keine Meldung im Radio oder im Fernsehen.
Normalerweise geben die Amerikaner mit ihren Morden doch an.
»Führungskräfte der al-Qaida getötet.«
»Anführer der Taliban tot.«
Aber diesmal nicht.
Warum nicht?
Weil – und das begreift er nun mit einer Klarheit, von der ihm ganz übel wird – sie dasselbe Spiel spielen wie du auch.
Das hier ist was anderes, als Osama in Pakistan abzuknallen. Das ist ein Vorfall auf kenianischem Boden, und Kenia ist mit Amerika verbündet – natürlich vertuschen die das.
Aber getan haben sie’s trotzdem, und das ist das Erschreckende.
Wenn sie’s in Kenia getan haben, dann tun sie’s auch in …
Der Zug hält im Gare du Midi, und Aziz steigt aus. Über den Brüsseler Hauptbahnhof kann er die Stadt notfalls schnell verlassen, und derzeit wohnt er im Herzen von
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