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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Mackey lediglich als Waffenbeschaffer gedient hatte. Wenn er es nicht war, hätte es jemand anders tun können. Es war müßig, Spekulationen darüber anzustellen, was hätte passieren oder nicht passieren können.
    »Irgendwas Brauchbares?«
    Bosch blickte auf. Rider stand an ihrem Schreibtisch. Er klappte den Ordner zu.
    »Nein, eigentlich nicht. Ich habe mir gerade die Bewährungsakte angesehen. Die frühen Sachen. Zunächst interessierte sich ein Richter für ihn, der ihn dann aber irgendwie fallen ließ. Er konnte ihn nur dazu bewegen, seinen GED zu machen.«
    »Was ihn ja auch groß weitergebracht hat.«
    »Tja.«
    Sonst sagte Bosch nichts. Auch er hatte nur einen GED. Auch er hatte einmal als Autodieb vor einem Richter gestanden. Und das Auto, mit dem er eine Spritztour unternommen hatte, war ebenfalls eine Corvette gewesen. Nur hatte sie nicht einem Nachbarn gehört. Sie hatte seinem Pflegevater gehört. Das war Boschs Art gewesen, ihm »Leck mich« zu sagen. Aber wer wirklich »Leck mich« gesagt hatte, war der Pflegevater. Bosch kam zurück ins Heim, wo er allein sehen konnte, wie er zurechtkam.
    »Ich war elf, als meine Mutter starb«, sagte Bosch unvermittelt.
    Rider sah ihn an und zog ihre Augenbrauennummer ab.
    »Ich weiß. Warum kommst du damit ausgerechnet jetzt an?«
    »Keine Ahnung. Jedenfalls war ich danach ganz schön lange im Heim. Ab und zu kam ich zwar auch zu einer Pflegefamilie, aber das ging nie lange gut. Ich wurde immer wieder zurückgeschickt.«
    Rider wartete, aber Bosch sprach nicht weiter.
    »Und?«, half sie ihm auf die Sprünge.
    »Im Heim gab es zwar keine Gangs«, sagte er. »A ber es gab eine Art natürlicher Gruppenbildung. Weißt du, die Weißen hingen zusammen. Die Schwarzen. Die Latinos. Asiaten gab es damals noch keine.«
    »Was willst du damit sagen? Dass dir dieser Arsch Mackey Leid tut?«
    »Nein.«
    »Er hat ein Mädchen umgebracht, Harry, oder zumindest geholfen, es umzubringen.«
    »Das weiß ich, Kiz. Das ist es nicht, worauf ich hinauswill.«
    »Und worauf willst du hinaus?«
    »Ich weiß nicht. Ich frage mich nur, was jemanden dazu bringt, diesen oder jenen Weg einzuschlagen, weißt du? Wieso wurde dieser Kerl ein Hasser? Und wieso wurde ich keiner?«
    »Harry, du denkst zu viel. Fahr heute Abend nach Hause und schlaf dich mal richtig aus. Das wirst du brauchen, weil du nämlich nächste Nacht ganz bestimmt nicht dazu kommen wirst.«
    Bosch nickte, machte aber keine Anstalten aufzustehen.
    »Machst du endlich Schluss?«, fragte Rider.
    »Ja, gleich. Willst du schon los?«
    »Ja, außer du möchtest, dass ich mit dir zur Sitte nach Hollywood rüberkomme.«
    »Nein, nein, das schaffe ich schon allein. Lass uns morgen noch mal reden, sobald wir die Zeitung haben.«
    »Okay. Ich weiß nur nicht, wo ich im South End die Daily News kriege. Kann durchaus sein, dass ich dich anrufen muss, damit du mir den Artikel vorliest.«
    Während die Daily News im Valley weit verbreitet war, war sie im Rest der Stadt oft schwer zu bekommen. Rider lebte unten bei Inglewood, im selben Viertel, in dem sie aufgewachsen war.
    »Das ist okay. Ruf mich an. Bei mir ist nämlich gleich ein Stück den Hügel runter ein Zeitungskasten.«
    Rider öffnete eine ihrer Schreibtischschubladen und nahm ihre Handtasche heraus. Sie sah Bosch an und zog wieder ihre Augenbrauennummer ab.
    »Bist du sicher, dass du dich so verunstalten lassen willst?«
    Sie spielte damit auf den Plan an, mit dem sie Mackey am kommenden Tag aus der Reserve locken wollten. Bosch nickte.
    »Irgendwie muss ich die Nummer doch glaubhaft rüberbringen«, sagte er. »Außerdem kann ich erst mal langärmlige Hemden tragen. Es ist ja noch nicht Sommer.«
    »Und wenn es gar nicht nötig ist? Wenn er den Artikel in der Zeitung sieht und sich ans Telefon hängt und wie ein Wasserfall zu reden anfängt?«
    »Irgendwas sagt mir, dass er das nicht tun wird. Außerdem ist es ja nicht auf Dauer. Vicki Landreth hat mir versichert, es hält höchstens ein paar Wochen, je nachdem, wie oft man duscht. Das ist nicht wie diese Henna-Tattoos, die sich die Kids am Santa Monica Pier machen lassen. Die halten länger.«
    Sie nickte.
    »Okay, Harry, dann bis morgen früh.«
    »Bis morgen, Kiz. Und einen schönen Abend noch.«
    Sie schickte sich an, das Abteil zu verlassen.
    »Ach, Kiz?«, rief ihr Bosch hinterher.
    »Ja, was?« Sie blieb stehen und schaute zu ihm zurück.
    »Wie sieht es aus? Bist du froh, wieder dabei zu sein?«
    Sie wusste, was er

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