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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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offenkundigen Rassistenschwein gesehen werden möchte.«
    Diesmal wusste Bosch, dass sie Spaß machte. Er grinste, und sie grinste, und sie sagte, sie käme mit.
    »Aber nur unter einer Bedingung«, fügte sie hinzu.
    »Und die wäre?«
    »Dass du dein Hemd wieder anziehst.«

 
     
     
     
     
     
     
     
     
    27
    Am nächsten Morgen wachte Bosch auch ohne Wecker um halb sechs auf. Das war bei ihm nichts Ungewöhnliches. Das passierte, wenn man bei einem Ermittlungsverfahren in die Röhre hineinsurfte. Die Stunden, die man wach war, überwogen die Stunden, die man schlief. Man tat alles, was man konnte, um auf dem Board und in der Röhre zu bleiben. Obwohl sein Dienst erst in mehr als zwölf Stunden begann, war ihm klar, dass das der entscheidende Tag würde. Er konnte nicht mehr schlafen.
    Er zog sich im Dunkeln und in unvertrauter Umgebung an und ging in die Küche, wo er einen Block für Einkaufszettel fand. Er schrieb eine kurze Nachricht darauf und legte den Zettel neben die automatische Kaffeemaschine, die er Vicki Landreth am Abend zuvor auf sieben Uhr morgens hatte stellen sehen. Die Nachricht bestand aus wenig mehr als einem Auf Wiedersehen und einem Danke für den Abend. Keine Versprechungen und kein Bis-bald. Sie erwartete so etwas nicht. In den zwanzig Jahren, die zwischen ihren gemeinsam verbrachten Nächten lagen, hatte sich wenig geändert. Sie mochten sich beide, aber das war nicht genug, um ein Haus darauf zu bauen.
    Die Straßen zwischen Vicki Landreths Haus in Los Feliz und dem Cahuenga Pass waren dunstig und grau. Die Leute fuhren mit eingeschalteten Lichtern, weil sie entweder noch bei Dunkelheit losgefahren waren oder weil sie dachten, es hülfe vielleicht, die Welt zu wecken. Die Morgendämmerung kam in Boschs Augen nicht an die Abenddämmerung heran. Die Morgendämmerung hatte immer etwas Unschönes, als ob die Sonne unbeholfen und in Eile wäre. Die A benddämmerung war geschmeidiger, der Mond anmutiger. Vielleicht lag es daran, dass der Mond geduldiger war. Im Leben wie in der Natur, fand Bosch, war es so, dass die Dunkelheit immer wartete.
    Er versuchte, sich die Gedanken an die vergangene Nacht aus dem Kopf zu schlagen, um sich ganz auf den Fall konzentrieren zu können. Die anderen bezogen gerade in der Mariano Street in Woodland Hills und im Audio-Raum von ListenTech in der City of Industry ihre Stellungen. Während Roland Mackey schlief, legte sich der Arm des Gesetzes in aller Ruhe um seinen Hals. So sah Bosch die Sache. Das rief dieses Prickeln in seinen Adern hervor. Er hielt es immer noch für unwahrscheinlich, dass Mackey den tödlichen Schuss auf Rebecca Lost abgegeben hatte. Völlig außer Zweifel stand für ihn dagegen, dass Mackey damals die Mordwaffe beschafft hatte und dass er sie heute auf die Spur des Todesschützen führen würde, ob das nun William Burkhart oder sonst jemand war.
    Am Fuß des Hügels, auf dem sein Haus lag, fuhr Bosch auf den Parkplatz vor dem Poquito Mas. Ohne den Motor abzustellen, stieg er aus und ging zu den Zeitungskästen. Durch das trübe Plastikfenster eines Kastens starrte ihm das Gesicht von Rebecca Lost entgegen. Er spürte, wie sein Atem stockte. Es spielte keine Rolle, was in dem Artikel stand – jetzt ging es los.
    Er warf die entsprechenden Münzen in den Kasten und nahm eine Zeitung heraus. Er wiederholte die Prozedur und nahm sich eine zweite Zeitung. Eine für die Akten und eine für Mackey. Er las den Artikel erst, nachdem er den Hügel hinauf zu seinem Haus gefahren war. Er setzte Kaffee auf und las den Artikel im Stehen in der Küche. Das Fensterfoto war eine Aufnahme von Muriel Lost, die auf dem Bett ihrer Tochter saß. Das Zimmer war aufgeräumt und das Bett ordentlich gemacht, einschließlich des auf dem Boden aufstehenden Volants. In der rechten oberen Ecke war ein kleines Foto von Rebecca eingefügt. Offensichtlich hatte die Daily News das Foto aus dem Jahrbuch in ihrem Archiv gehabt. Die Überschrift über dem Foto lautete DIE LANGE TOTENWACHE EINER MUTTER.
    Als Fotografin des Kinderzimmerfotos war Emerson Ward angegeben, die anscheinend ihren offiziellen Vornamen verwendete. Die Bildunterschrift dazu lautete: »Muriel Lost im Zimmer ihrer Tochter. Wie Mrs. Losts Trauer blieb auch das Zimmer von der Zeit unangetastet.«
    Unter dem Foto und über dem Text des Artikels war eine so genannte Sub-Headline, die, wie Bosch einmal von einem Journalisten erklärt bekommen hatte, ausführlichere Angaben zum Inhalt enthielt. Sie

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