Vergessene Stimmen
hin, dass diese Person auch andere Straftaten begangen hat. Falls der Täter jemals verhaftet und seine DNS in eine Datenbank aufgenommen wurde, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn identifizieren können.«
Rebecca wurde in der Nacht des 5. Juli 1988 aus ihrem Elternhaus entführt. Drei Tage lang suchten Polizei und Nachbarn nach ihr, bis schließlich eine Reiterin auf dem Oat Mountain auf die durch einen umgestürzten Baum verborgene Leiche stieß. Obwohl im Zuge der Ermittlungen vieles zutage kam, darunter auch, dass Rebecca sechs Wochen vor ihrem Tod einen Schwangerschaftsabbruch hatte vornehmen lassen, gelang es der Polizei nicht, festzustellen, wer ihr Mörder war und wie er in das Haus gelangt war.
Dieses Verbrechen hat bei vielen Menschen tiefe, bis heute nicht verheilte Wunden hinterlassen. Die Eltern des Opfers haben sich getrennt, und Muriel Lost konnte uns nichts über den Verbleib ihres Mannes Robert Lost sagen, der damals in Malibu ein Restaurant besaß. Sie sagte, ihre Ehe sei an der seelischen Belastung und dem Schmerz über die Ermordung ihrer Tochter zerbrochen.
Einer der ursprünglich mit dem Fall befassten Ermittler, Ronald Green, zog sich frühzeitig in den Ruhestand zurück und beging später Selbstmord. Commander Garcia äußerte die Vermutung, der ungelöste Lost-Fall könne bei dem Entschluss seines ehemaligen Partners, sich das Leben zu nehmen, eine Rolle gespielt haben.
»Ronnie nahm sich alles immer sehr zu Herzen«, sagte Garcia. »Und ich glaube, dieser Fall ist ihm besonders nahe gegangen.«
In der Hillside Preparatory School, wo Rebecca Lost eine beliebte Schülerin war, wird weiterhin täglich ihres Lebens und ihres Todes gedacht. Im Eingangsbereich der Eliteschule wurde von Spenden ihrer Mitschüler eine Gedenktafel angebracht.
»Jemanden wie Rebecca möchten wir nie vergessen«, sagte Schulleiter Gordon Stoddard, der in Hillside unterrichtete, als Rebecca Lost dort Schülerin war.
Eine von Rebeccas Freundinnen und Klassenkameradinnen unterrichtet inzwischen selbst an der Schule. Bailey Koster Sable verbrachte noch zwei Tage vor Rebeccas Ermordung einen Abend mit ihr. Der Verlust ihrer Freundin lässt ihr keine Ruhe, und sie sagt, sie muss ständig an Rebecca denken.
»Ich muss vor allem deshalb immer daran denken, weil ich finde, dass so etwas jedem passieren könnte«, sagte Sable gestern nach dem Unterricht. »Und bei diesem Gedanken stellt sich mir jedes Mal wieder dieselbe Frage: Warum ausgerechnet sie?«
Doch diese Frage hofft die Polizei von Los Angeles nun bald endgültig beantworten zu können.
Bosch betrachtete das Foto auf der Innenseite, wo der Artikel weiterging. Darauf waren Bailey Sable und Gordon Stoddard vor der Gedenktafel in der Hillside Prep zu sehen. Auch hier war Emerson Ward als Fotografin angegeben. Die Bildunterschrift lautete: »FREUNDIN UND LEHRER: Bailey Sable ging mit Rebecca Lost zur Schule, Gordon Stoddard war ihr Physiklehrer. Stoddard, inzwischen Leiter der Schule, äußerte der News gegenüber: ›Becky war ein nettes Mädchen. Das hätte nie und nimmer passieren dürfen.‹«
Bosch goss Kaffee in einen Becher und las den Artikel, während er daraus trank, noch einmal. Dann nahm er aufgeregt das Telefon von der Küchentheke und wählte Kizmin Riders Privatnummer. Sie meldete sich mit verschlafener Stimme.
»Kiz, der Artikel ist optimal. Sie hat alles reingepackt, was wir wollten.«
»Harry? Wie spät ist es, Harry?«
»Fast sieben. Es kann losgehen.«
»Harry, wir müssen die ganze Nacht arbeiten. Warum bist du jetzt schon wach? Und vor allem, warum rufst du mich um sieben an?«
Bosch wurde sein Fehler bewusst.
»Entschuldige bitte, Kiz. Ich kann schon gar nicht mehr stillsitzen.«
»Ruf mich in zwei Stunden noch mal an.«
Sie legte auf. In ihrer Stimme war nichts Freundliches gewesen.
Unbeirrt zog Bosch ein gefaltetes Blatt Papier aus seiner Jackentasche. Es war die Liste mit Telefonnummern, die Pratt bei der Einsatzbesprechung verteilt hatte. Er wählte Tim Marcias Handynummer.
»Hier Bosch«, sagte er. »Schon in Stellung?«
»Ja, wir sind hier.«
»Und? Tut sich irgendwas?«
»Im Moment tut sich hier gar nichts. Wenn der Kerl gestern bis Mitternacht gearbeitet hat, wird er heute sicher lange schlafen.«
»Ist sein Auto da? Der Camaro?«
»Ja, Harry, er ist da.«
»Okay, gut zu wissen. Habt ihr den Artikel in der Zeitung schon gesehen?«
»Nein. Aber wir haben zwei Teams für die Observierung von Mackeys und
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