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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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und Bärten, unter denen jemand mit Klebeband die Namen verschiedener hochrangiger Polizeioffiziere der Hollywood Division befestigt hatte.
    Bosch nahm Hemd und Krawatte ab. Darunter trug er ein T-Shirt.
    »Sie sollen zwar zu sehen sein«, sagte er. »Aber eher dezent. Deshalb dachte ich, ob du die Tattoos vielleicht so machen kannst, dass man Teile davon sehen kann, wenn ich ein T-Shirt trage. Gerade genug, um mitzukriegen, was es für welche sind und was sie bedeuten.«
    »Kein Problem. Halt mal still.«
    Sie markierte auf seiner Haut mit einem Stück Kreide, wie weit Ärmel und Kragen des T-Shirts reichten.
    »Das wären die Sichtbarkeitsgrenzen«, erklärte sie. »Jetzt musst du mir nur sagen, wie weit drüber oder drunter du gehen willst.«
    »Verstehe.«
    »Und jetzt zieh dich ganz aus, Harry.«
    Das sagte sie mit unverhohlener Sinnlichkeit in der Stimme. Bosch zog sich das T-Shirt über den Kopf und warf es zu seinem Hemd und der Krawatte auf einen Stuhl. Dann wandte er sich Landreth zu, die seine Brust und die Schultern studierte. Sie streckte die Hand aus und berührte die Narbe an seiner linken Schulter.
    »Die ist aber neu«, sagte sie.
    »Die ist alt.«
    »Ist ja auch schon eine Weile her, dass ich dich nackt gesehen habe, Harry.«
    »Ja, ich denke schon.«
    »Du trugst noch eine blaue Uniform und konntest mich zu allem breitschlagen – sogar dazu, zur Polizei zu gehen.«
    »Ich habe dich nur bequatscht, in mein Auto einzusteigen, nicht bei der Polizei. Das brauchst du mir nicht in die Schuhe zu schieben.«
    Bosch war das Ganze ein wenig peinlich, und er spürte, wie er errötete. Ihr Verhältnis war damals vor zwanzig Jahren nur deshalb im Sand verlaufen, weil keiner von beiden Interesse an einer festen Beziehung gehabt hatte. Ihre Wege hatten sich getrennt, aber sie blieben locker befreundet, vor allem, nachdem Bosch zum Morddezernat der Hollywood Division versetzt worden war, sodass beide im selben Gebäude stationiert waren.
    »Sieh an«, sagte Landreth. »Da wird ja einer immer noch rot. Und das nach zwanzig Jahren.«
    »Na ja, weißt du …«
    Er sprach nicht weiter. Landreth rollte ihren Hocker näher an Bosch heran. Sie rieb mit dem Daumen an dem Tunnelratten-Tattoo oben an seinem rechten Arm.
    »An das kann ich mich noch erinnern«, sagte sie. »Hat sich aber nicht so besonders gehalten, oder?«
    Sie hatte Recht. Farbe und Konturen der Tätowierung, die er sich in Vietnam hatte machen lassen, hatten sich im Lauf der Zeit immer stärker aufgelöst. Dass sie eine Ratte mit einem Gewehr darstellte, die aus einem Tunnel kam, war nicht mehr zu erkennen. Das Tattoo sah inzwischen aus wie ein schmerzhafter blauer Fleck.
    »Ich habe mich ja auch nicht so besonders gehalten, Vicki«, sagte Bosch.
    Sie ging nicht auf seine Bemerkung ein und machte sich an die Arbeit. Zunächst skizzierte sie die Tattoos mit einem Eyeliner-Stift auf seine Haut. Michael Allen Smith hatte sich etwas auf den Hals tätowieren lassen, was er einen Gestapo-Kragen genannt hatte. Auf beiden Seiten des Halses waren die zwei Blitze des SS-Abzeichens, die Hitlers Elitetruppe auf den Kragenspiegeln gehabt hatte. Landreth stichelte sie rasch und mühelos in Boschs Haut. Es kitzelte, und es fiel ihm schwer, stillzuhalten. Dann kam der Bizeps an die Reihe.
    »Welcher Arm?«, fragte sie.
    »Ich würde sagen, der linke.«
    Er dachte daran, was er mit Mackey vorhatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er rechts von Mackey zu sitzen kam, war eindeutig höher. Das hieß, Mackey hätte seinen linken Arm im Blickfeld.
    Landreth bat ihn, das Foto von Smiths Tattoo neben seinen Arm zu halten, damit sie es abmalen könnte. Auf Smiths Bizeps war ein Totenkopf tätowiert, auf dessen Stirn sich ein Kreis mit einem Hakenkreuz befand. Smith hatte die Morde, deren er angeklagt war, zwar nie zugegeben, aber aus seinen rassistischen, rechtsradikalen Ansichten und der Herkunft seiner zahlreichen Tätowierungen hatte er kein Hehl gemacht. Der Totenkopf auf seinem Bizeps stammte seinen Aussagen zufolge von einem Propagandaplakat aus dem Zweiten Weltkrieg.
    Seit Landreth beim Skizzieren von seinem Hals zu seinem Oberarm weitergewandert war, konnte Bosch wieder freier atmen, und das ermöglichte Landreth, ihn in ein Gespräch zu verwickeln.
    »Und was hat sich bei dir in letzter Zeit so alles getan?«, fragte sie.
    »Nichts Besonderes.«
    »Wurde dir das Rentnerdasein zu langweilig?«
    »So könnte man es nennen.«
    »Was hast du denn in deiner freien Zeit so alles

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