Vergessene Stimmen
hoch.
Sie sagte: »Bist du bereit, Michael?«
Er sagte: »Ich bin nicht Michael.«
Sie sagte: »Das ist okay. Es spielt keine Rolle, wer du bist. Jeder versucht, der Nadel zu entkommen. Aber niemand kommt davon.«
28
Kiz Rider war bereits am vereinbarten Treffpunkt, als Bosch eintraf. Er stieg aus seinem Wagen und ging mit den Akten zu ihrem Auto, einem unscheinbaren weißen Taurus.
»Hast du im Kofferraum noch Platz?«, fragte er, bevor er einstieg.
»Er ist leer. Warum?«
»Dann mach ihn mal auf. Ich habe vergessen, meinen Reservereifen zu Hause zu lassen.«
Er ging wieder zu seinem Auto, dem Mercedes-Geländewagen, nahm den Ersatzreifen heraus und verstaute ihn in Riders Kofferraum. Mit einem Schraubenzieher aus dem Werkzeugsatz entfernte er die Nummernschilder von seinem Auto und legte sie ebenfalls in den Kofferraum. Dann stieg er zu Rider in den Taurus, und sie fuhren die Tampa hinauf zu der Mall gegenüber der Tankstelle, in der Mackey arbeitete. Marcia und Jackson, die Kollegen von der Tagschicht, warteten auf dem Parkplatz in ihrem Auto.
Die Lücke neben ihnen war frei, und Rider fuhr hinein. Alle ließen ihre Fenster runter, damit sie reden und die Sprechfunkgeräte austauschen konnten, ohne aussteigen zu müssen. Bosch nahm die Funkgeräte, aber er wusste, dass er und Rider sie nicht benutzen würden.
»Und?«, fragte Bosch.
»Nichts«, sagte Jackson. »Absolut tote Hose, Harry.«
»Überhaupt nichts?«, fragte Rider.
»Es gibt keinerlei Hinweise, dass er oder jemand, den er kennt, die Zeitung zu Gesicht gekriegt hat. Vor zwanzig Minuten haben wir mit dem Audio-Raum gesprochen, und der Kerl hat nicht mal einen Anruf gekriegt, geschweige denn einen über den Zeitungsartikel. Nicht mal abschleppen musste er jemanden, seit er hier aufgetaucht ist.«
Bosch nickte. Noch machte er sich keine Sorgen. Manchmal musste man eben ein bisschen nachhelfen, und genau das hatte er vor.
»Ich hoffe, du hast einen guten Plan, Harry«, rief Marcia aus dem anderen Auto herüber. Er saß auf der Fahrerseite, und weil Bosch auf dem Beifahrersitz von Riders Auto saß, war er am weitesten von ihm entfernt.
»Wollt ihr noch hier bleiben?«, entgegnete Bosch. »Wenn sich bisher nichts getan hat, wird sich von allein wahrscheinlich auch nichts mehr tun. Ich wäre so weit.«
Jackson nickte. »In Ordnung. Werdet ihr Unterstützung brauchen?«
»Kaum. Ich werde nur den Anstoß geben. Andererseits kann man natürlich nie wissen. Schaden könnte es sicher nicht.«
»Gut. Wir werden auf jeden Fall die Augen offen halten. Wenn wirklich was passiert, was ist euer Zeichen?«
Bosch hatte sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie er ein Zeichen geben könnte, wenn etwas schief ging und er Verstärkung brauchte.
»Wahrscheinlich hupe ich einfach«, sagte er. »Oder ihr hört Schüsse.«
Er grinste, und alle nickten, und dann stieß Rider rückwärts aus der Lücke, und sie fuhren auf der Tampa zurück zu seinem Wagen.
»Willst du es also wirklich tun?«, fragte Rider, als sie neben dem Mercedes anhielt.
»Aber sicher.«
Er hatte unterwegs bemerkt, dass sie einen Sammelordner dabeihatte. Er lag auf der Armstütze zwischen den Sitzen.
»Was ist das?«
»Da du mich so früh geweckt hast, habe ich beschlossen, ein bisschen zu arbeiten. Ich habe über die anderen fünf Mitglieder der Chatsworth Eights Erkundigungen eingezogen.«
»Sehr gut. Wohnen noch welche in der Gegend?«
»Zwei. Aber wie es aussieht, haben sie sich nach ihren so genannten Jugendsünden geläutert. Keine weiteren Strafen mehr. Sie haben ganz gute Jobs.«
»Und die anderen?«
»Der Einzige, der anscheinend immer noch hinter diesem ganzen Mist steht, ist ein gewisser Frank Simmons. Zog von Oregon hier runter, als er in der Highschool war. Ein paar Jahre später schloss er sich den Eights an. Inzwischen lebt er in Fresno. Hat allerdings wegen Verkaufs von Maschinenpistolen zwei Jahre in Obispo eingesessen.«
»Das kann ich vielleicht verwenden. Wann war er da?«
»Augenblick.«
Sie öffnete den Ordner, kramte eine Weile darin und zog schließlich einen dünnen Schnellhefter heraus, auf dem Frank Simmons stand. Sie öffnete ihn und zeigte Bosch ein Gefängnisfoto von Simmons.
»Vor sechs Jahren«, sagte sie. »Er kam vor sechs Jahren raus.«
Bosch betrachtete das Foto und prägte sich Simmons’ Aussehen ein. Er hatte kurzes dunkles Haar und dunkle Augen. Seine Haut war sehr blass und im Gesicht von
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