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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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unpassenderweise gerade in dem Moment, als Muriel Lost mit einem kleinen Buch zurückkam, auf dessen geblümtem Deckel in goldener Prägeschrift Mein Tagebuch stand. Das Gold blätterte ab. Das Buch sah abgegriffen aus. Muriel Lost reichte es Rider, die es mit übertriebener Ehrfurcht behandelte.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben, Mrs. Lost, würden wir uns gern ein bisschen umsehen«, sagte Bosch. »Um das, was wir in der Akte gesehen und gelesen haben, mit den konkreten Gegebenheiten abzugleichen.«
    »In welcher Akte?«
    »Ach so, Entschuldigung. Alle Ermittlungsunterlagen von einem Fall werden in einem großen Ordner aufbewahrt. Das ist die Akte.«
    »Ein Mordakte?«
    »Ja. Hätten Sie was dagegen, wenn wir uns jetzt ein bisschen im Haus umsehen? Vor allem den Hintereingang würde ich mir gern mal ansehen und auch das Gelände hinter dem Haus.«
    Sie zeigte ihnen mit erhobenem Arm, wohin sie gehen mussten. Bosch und Rider standen auf.
    »Hier hat sich einiges geändert«, sagte Muriel Lost. »Früher gab es hinten raus keine Häuser. Man konnte einfach den Berg hochgehen. Aber jetzt haben sie Terrassen angelegt. Und inzwischen gibt es dort auch Häuser. Richtige Luxusvillen. An der Stelle, wo meine Tochter gefunden wurde, steht jetzt eine Villa. Ich hasse sie.«
    Dazu gab es nichts zu sagen. Bosch nickte nur und folgte Muriel Lost einen kurzen Flur hinunter in die Küche. Dort gab es eine Tür mit einem Glasfenster darin, die in den Garten führte. Muriel Lost schloss die Tür auf, und sie gingen ins Freie. Der Garten zog sich einen steilen Hang hinauf zu einem Eukalyptuswäldchen. Durch die Bäume konnte Bosch Teile des mit roten Ziegeln gedeckten Dachs einer Villa sehen.
    »Früher war dort oben alles unbebaut«, sagte Muriel Lost. »Nichts als Bäume. Jetzt sind dort oben lauter Häuser. Sie haben sogar ein Tor. Sie lassen mich nicht mehr dort raufgehen, wie ich das früher getan habe. Sie halten mich für eine Pennerin oder so etwas, weil ich manchmal hochgegangen bin und an Beckys Fundort ein Picknick gemacht habe.«
    Bosch nickte und beschäftigte sich in Gedanken kurz mit der Vorstellung von einer Mutter, die an der Stelle, an der ihre Tochter ermordet worden war, ein Picknick veranstaltete. Er versuchte, sich nicht weiter damit zu befassen und sich stattdessen auf das Gelände hinter dem Haus zu konzentrieren. Laut Obduktionsbefund wog Becky Lost dreiundvierzig Kilo. Doch trotz ihres geringen Gewichts müsste es ziemlich mühsam gewesen sein, sie den Hang hinaufzutragen. Er fragte sich, ob es möglicherweise mehr als einen Täter gegeben hatte.
    Er sah Muriel Lost an, die mit geschlossenen Augen reglos dastand. Sie hatte den Kopf zur Seite geneigt, sodass die späte Nachmittagssonne ihr Gesicht wärmte. Bosch fragte sich, ob das eine Art der Kommunikation mit ihrer verlorenen Tochter war. Als spürte sie, dass Bosch und Rider sie ansahen, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen: »Ich liebe diesen Platz. Ich werde nie von hier weggehen.«
    »Könnten wir uns jetzt das Zimmer Ihrer Tochter ansehen?«, fragte Bosch.
    Sie öffnete die Augen.
    »Treten Sie sich nur die Füße ab, wenn Sie wieder ins Haus gehen.«
    Sie führte sie durch die Küche in den Flur zurück. Die Treppe befand sich neben der Verbindungstür zur Garage. Die Tür war offen, und Bosch sah einen verbeulten Minivan, umgeben von Schachteln und Gegenständen, die Muriel Lost offensichtlich auf ihren Touren zusammengetragen hatte. Außerdem fiel ihm auf, wie nah die Verbindungstür zur Garage an der Treppe lag. Er wusste nicht, ob das etwas zu bedeuten hatte. Doch er erinnerte sich an die Schlusszusammenfassung in der Mordakte, in dem die Vermutung geäußert wurde, der Mörder habe sich irgendwo im Haus versteckt und gewartet, bis die Familie schlafen ging. Am ehesten bot sich dafür die Garage an.
    Die Treppe war schmal, weil eine Seite bis ganz nach oben mit Schachteln voller Gegenstände aus Haushaltsauflösungen voll gestellt war. Rider ging als Erste nach oben. Muriel Lost gab Bosch durch eine Handbewegung zu verstehen, dass er vorgehen solle, und als er an ihr vorbeiging, fragte sie ihn flüsternd: »Haben Sie Kinder?«
    Er nickte in dem Bewusstsein, dass seine Antwort schmerzen würde.
    »Eine Tochter.«
    Sie nickte ebenfalls.
    »Lassen Sie sie nie aus den Augen.«
    Bosch sagte ihr nicht, dass sie bei ihrer Mutter lebte, wo er sie überhaupt nicht sah. Er nickte bloß und stieg die Treppe hinauf.
    Im ersten Stock gab es zwei Schlafzimmer

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