Vergessene Welt
wenn’s brenzlig wird, dreht er durch. Zu viel Gefühl, zu viel Nervosität,
und er wird ganz zitterig und komisch. Arby hatte sich schon längst von der
Klippe abgewandt und schaute auf der anderen Seite des Hochstands zum Fluß hinunter.
Fast so, als wäre überhaupt nichts geschehen. Typisch.
Kelly wandte
sich wieder Levine zu. »Was passiert jetzt?« fragte sie.
»Thorne ist
gerade hineingestiegen«, sagte Levine und sah durch sein Glas.
»Er ist
hineingestiegen? Sie meinen in den Caravan?«
»Ja. Und jetzt …
kommt jemand raus.«
»Wer?«
»Ich glaube, es
ist Sarah. Sieht aus, als wollte sie für die anderen den Ausstieg vorbereiten.«
Kelly bemühte
sich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Der Regen hatte fast aufgehört, es
nieselte nur noch leicht. Sie sah den Caravan, der über dem Abgrund baumelte.
Und sie glaubte, auch eine Gestalt erkennen zu können, die sich am Fahrgestell
festhielt. Aber ganz sicher war sie nicht.
»Was macht sie?«
»Sie klettert.«
»Allein?«
»Ja«, antwortete
Levine. »Allein.«
Sarah Harding beugte sich aus der Tür in
den Regen. Sie sah nicht nach unten, denn sie wußte, daß der Talboden 150 Meter
unter ihr lag. Sie spürte, wie der Caravan hin und her schwang. Das Seil hatte
sie sich über die Schulter gehängt. Jetzt schob sie sich vorsichtig um den
Türholm herum, ging ein wenig in die Hocke und stellte den Fuß auf das Getriebegehäuse.
Sie tastete mit der Hand, bekam ein Kabel zu fassen und schwang sich ganz
herum.
Thorne war im
Inneren des Caravans und redete mit ihr. »Ohne Seil bekommen wir Malcolm nie
hoch«, sagte er. »Können Sie hochklettem?«
Ein Blitz zerriß
den Himmel. Sie schaute an der vom Regen feucht glitzernden Unterseite des Caravans
hoch. Und sah den klebrigen Schimmer von Schmierfett. Dann wieder Schwärze.
»Sarah? Schaffen
Sie es?«
»Ja«, sagte sie.
Sie streckte den Arm aus und fing an zu klettern.
Im Hochstand sagte Kelly: »Wo ist sie?
Was passiert? Ist alles in Ordnung mit ihr?«
Levine
beobachtete sie durch sein Nachtsichtgerät. »Sie klettert«, sagte er.
Arby hörte ihre
Stimmen wie aus weiter Entfernung. Er stand von den beiden abgewandt und
starrte hinüber zum Fluß in der dunklen Ebene. Er wartete ungeduldig auf den
nächsten Blitz. Denn er wollte sehen, ob zutraf, was er zuvor gesehen hatte.
Sarah wußte zwar nicht wie, aber
irgendwie schaffte sie es trotz Rutschens und Abgleitens bis zum Klippenrand
und schwang sich über die Kante. Sie hatte keine Zeit zu verlieren, rollte deshalb
das Seil sofort auf und kroch unter den zweiten Caravan. Dort zog sie das Seil
durch eine Metallhalterung und verknotete es schnell. Dann kroch sie zum Klippenrand
zurück und warf das Seil nach unten.
»Doc!« rief sie.
Thorne, der in der Fahrertür stand, fing
das Seil und band es Malcolm um den Bauch. Malcolm stöhnte. »Los geht’s«, sagte
Thorne. Er legte den Arm um Malcolm und schwang sich mit ihm um den Türholm
herum, so daß sie gemeinsam auf dem Getriebegehäuse landeten.
»O Gott«, sagte
Malcolm, als er nach oben sah. Aber Sarah zog bereits, das Seil straffte sich.
»Benutzen Sie
nur Ihre Arme«, sagte Thorne. Malcolm stieg langsam in die Höhe, bald war er
schon drei Meter über Thorne. Sarah war oben auf der Klippe, aber Thorne konnte
sie nicht sehen, weil Malcolm ihm die Sicht versperrte. Mit den Füßen
Trittflächen suchend, begann er nun ebenfalls zu klettern. Die Unterseite des
Caravans war schlüpfrig. Ich hätte sie rutschfest machen sollen, dachte er.
Aber wer würde je die Unterseite eines Fahrzeugs rutschfest machen?
Vor seinem
geistigen Auge sah er die Faltbalgverbindung, wie sie aufriß … langsam aufriß …
und der Riß immer breiter wurde …
Er kletterte.
Hand über Hand. Fuß über Fuß.
Es blitzte, und
er sah, daß sie dem Abgrund schon sehr nahe gekommen waren. Sarah stand oben
und griff nach Malcolm. Malcolm zog sich mit den Armen hoch, seine Beine
baumelten schlaff hin und her. Aber es ging aufwärts. Nur noch einen knappen
Meter … Sarah packte Malcolm am Kragen und hievte ihn das letzte Stück hoch.
Malcolm rollte sich über den Rand und war für Thorne nicht mehr zu sehen.
Thorne kletterte
weiter. Seine Füße glitten aus. Seine Arme schmerzten.
Er kletterte.
Sarah warf ihm
das Seil zu, und er griff gierig danach. Dann streckte sie die Hand nach ihm
aus. »Kommen Sie, Doc …«
Er sah ihre
Hand, ihre Finger, die sie ihm entgegenstreckte.
Mit einem metallischen
Peng
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