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Vergessene Welt

Vergessene Welt

Titel: Vergessene Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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geschehen – zu schnell –, was nur bedeuten
konnte, daß die Hyänen Glück gehabt hatten oder daß das Kalb bereits vorher
verletzt gewesen war. Vielleicht war es auch sehr jung gewesen, ein Neugeborenes;
ein paar der Büffel kalbten noch. Sie würde sich das Videoband ansehen müssen,
um zu rekonstruieren, was passiert war. Das ist das Risiko, wenn man schnelle
Nachtjäger studiert, dachte sie.
    Daß die Hyänen
ein Tier geschlagen hatten, stand jedoch außer Frage. Sie drängten sich mittlerweile
alle auf engem Raum zusammen, jaulten und sprangen umher. Sarah sah G3, dann
G5, beide mit blutigen Schnauzen. Jetzt kamen auch die Jungen dazu und
jammerten, um ebenfalls etwas von der Beute abzubekommen. Die Erwachsenen
machten ihnen sofort Platz und halfen ihnen beim Fressen. Manchmal rissen sie
Fleischstücke vom Kadaver und hielten sie den Jungen hin.
    Dieses Verhalten
war nichts Neues für Sarah Harding, die sich in den letzten Jahren weltweit
einen Namen als Expertin für Hyänen gemacht hatte. Als sie zum erstenmal über
ihre Forschungsergebnisse berichtete, war sie bei ihren Kollegen auf
Ungläubigkeit, ja sogar Empörung gestoßen, doch noch schlimmer war die sehr persönliche
und verletzende Art gewesen, mit der man sie kritisierte. Man warf ihr vor,
eine Frau zu sein, attraktiv zu sein, eine »arrogante feministische
Perspektive« zu haben. Die Universität verlängerte ihren Vertrag nicht, die
Kollegen schüttelten nur den Kopf. Doch Sarah blieb beharrlich, und während ihr
Datenmaterial mit der Zeit immer umfangreicher wurde, erhielt auch ihre Betrachtungsweise
der Hyänen immer größere Akzeptanz.
    Trotzdem würden
Hyänen nie zu Sympathieträgern werden, dachte sie, während sie den Tieren beim
Fressen zusah. Sie waren zu unattraktiv mit ihren viel zu großen Köpfen auf den
abfallenden Körpern, dem struppigen, zotteligen Fell, dem linkischen Gang und ihren
Schreien, die zu sehr an ein schrilles Lachen erinnerten. In einer immer
stärker urbanisierten Welt der Betonwolkenkratzer, die wilde Tiere
romantisierte und entweder als edel oder gemein, als Helden oder Schurken
darstellte, waren Hyänen deutlich negativ besetzt, abgesehen davon, daß sie in
den Augen der meisten Menschen einfach nicht fotogen genug waren, um der Bewunderung
würdig zu sein. Jedenfalls waren sie mit ihrem Ruf, die lachenden Schurken der
afrikanischen Ebenen zu sein, einer systematischen Untersuchung kaum für wert
erachtet worden, bis Sarah mit ihren Forschungen begann.
    Was sie jedoch
entdeckt hatte, zeigte die Hyänen in einem ganz anderen Licht. Sie waren tapfere
Jäger und fürsorgliche Eltern und lebten in einer erstaunlich komplexen Sozialstruktur
– und außerdem im Matriarchat. Und was ihr berüchtigtes Lachen anging, das war
in Wirklichkeit eine sehr raffinierte Form der Kommunikation.
    Sarah hörte ein
Brüllen und sah durch ihr Nachtsichtgerät, daß ein Löwe sich dem Kadaver
näherte. Es war ein großes Weibchen, das sich in immer engeren Kreisen heranschlich.
Die Hyänen bellten und schnappten nach der Löwin, die Jungen wurden weggeführt.
Augenblicke später tauchten andere Löwen auf und machten sich über die Beute
der Hyänen her.
    Dagegen die
Löwen, dachte sie. Das waren wirklich unangenehme Tiere. Auch wenn man den
Löwen den König der Tiere nannte, war er in Wahrheit doch niederträchtig und –
    Das Telefon
klingelte.
    »Makena«, sagte
sie.
    Es klingelte
noch einmal. Wer rief sie denn jetzt an?
    Sie runzelte die
Stirn. Durch das Nachtsichtgerät sah sie, daß die Löwen die Köpfe hoben und
sich in der Dunkelheit umsahen.
    Makena fummelte
unter dem Armaturenbrett herum, suchte nach dem Telefon. Es klingelte noch
dreimal, bevor er es fand.
    Sie hörte ihn
sagen: » Jambo, mzee . Ja, Dr. Harding ist hier.« Er gab ihr den Apparat.
»Es ist Dr. Thorne.«
    Unwirsch nahm
sie das Nachtsichtgerät ab und griff nach dem Hörer. Sie kannte Thorne gut, er
hatte den Großteil der Ausrüstung ihres Jeeps entworfen und konstruiert. »Doc,
ich hoffe nur, es ist was Wichtiges.«
    »Ist es«, sagte
Thorne. »Ich rufe wegen Richard an.«
    »Was ist mit
ihm?« Sie hörte die Besorgnis in seiner Stimme, verstand aber den Grund nicht.
Levine war in letzter Zeit ein furchtbarer Quälgeist gewesen; er hatte sie fast
täglich aus Kalifornien angerufen und sich nach ihrer Arbeit mit wilden Tieren
erkundigt, hatte ihr Unmengen von Fragen gestellt über Verstecke und Tarnungen,
über Datenprotokolle und Aufzeichnungsverfahren,

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