Vergib uns unsere Sünden - Thriller
wollen, dass du Situationen bewertest und über deine Einschätzung in Langley Bericht erstattest.« Catherine schaute kurz zur Seite, und als sie wieder zu mir hersah, hatte sie etwas beunruhigend Eindringliches im Blick.
»Wir alle hier sind auf uns allein gestellt«, sagte sie leise. »Keiner von uns hat Angehörige. Keiner von uns hat nennenswerte Verbindungen zur Welt. Wir sind die Unsichtbaren, die mit einem Herzschlag verschwinden können. Wir tauchen auf und verschwinden wieder. Wir können überall hingehen, wo sie uns haben wollen. An jedem Ort der Welt können wir Augen und Ohren der geheimdienstlichen Organisation sein, und wenn wir plötzlich verschwinden, kräht kein Hahn nach uns. Niemand stellt Fragen oder gibt eine Vermisstenanzeige bei der Polizei auf. In den kleinen Räderwerken dieser Welt tauchen wir nicht auf, aber für das große Programm zählen wir etwas.«
»Bist du deshalb hier?«, fragte ich. »Weil du etwas zählen willst?«
»Wollen wir das nicht alle … das Gefühl haben, dass unser Leben eine Bedeutung hat?«
Ich ließ ihre Frage unbeantwortet.
»Mein Gott, John, du kannst so entschieden oder mitfühlend und sogar leidenscha ftlich klingen. Das ist es, was sie in dir sehen. Deshalb bist du noch hier. Weil sie wissen, dass Leute wie wir auf den Lauf der Dinge Einfluss nehmen können.«
»Und die Art und Weise, wie wir Einfluss nehmen sollen, lässt keine Zweifel in dir aufkommen?«
»Natürlich habe ich Zweifel. Aber es steckt so viel mehr Richtiges als Falsches darin. Es ist genau wie in Vietnam, Korea, Afghanistan und tausend anderen Ländern, in denen Tag für Tag eine bestimmte Art von Ungerechtigkeit ihren Lauf nimmt. Dem Volk fehlt es an organisatorischen Mitteln, sich dagegen zu wehren. Sie sind zu oft niedergeknüppelt worden, um noch die Kraft zu haben, dagegen aufzustehen. Es hängt unheimlich viel Geschichte an dem allen, John, und du kannst entweder mitschwimmen oder ihren Lauf mitbestimmen.«
»Und die eigentliche Wahrheit? Was tun wir da unten wirklich?«
Sie schaute zum Fenster - nachdenklich, konzentriert.
»Ich meine die Tatsache, dass Menschen sterben müssen …?«, soufflierte ich.
»Sterben müssen wir alle, John.«
»Sicher, an Krebs, Autounfällen, Schlaganfällen und solchem Quatsch. Aber der amerikanische Durchschnittsbürger stirbt nicht durch den Kopfschuss eines Heckenschützen.«
»Das Gemeinwohl«, sagte sie.
»Das Gemeinwohl«, wiederholte ich.
»Leute wie wir sollten das nicht infrage stellen. Was wir tun, tun wir für das Gemeinwohl.«
»Hitler in der Bar, 1929.«
»Genau.«
»Ich bin ja deiner Meinung, Catherine.«
Sie runzelte die Stirn. »Wie bitte?«
»Ich bin in allem, was du sagst, deiner Meinung. Ich bin hier, um dir genau das zu sagen, was du gerade zu mir gesagt hast …«
»He, was soll der Quatsch?«
»Ich hör dich so gerne predigen«, sagte ich. »Je größer deine Empörung, desto lieber höre ich dir zu.«
»Du kannst mich mal, weißt du?«
»Im Ernst«, sagte ich. »Es gibt nichts Erfrischenderes, als jemandem zuzuhören, der Stellung bezieht. Da draußen …« Ich schwenkte die Hand in Richtung Fenster, Straße, Welt. »Die Menschen da draußen sind so entsetzlich unentschlossen. Sie wissen nicht, was sie wollen oder brauchen. Ich sehe, was passiert, aber wenn ich ehrlich bin, interessiert es mich nicht, jedenfalls nicht besonders.«
»Wie, du hast doch gerade gesagt …«
»Setz dich hin«, sagte ich.
»Ich will mich nicht hinsetzen.«
»Glaub mir. Es ist besser, wenn du sitzt.«
»Ich muss nicht …«
»Catherine, halt endlich die Klappe und setz dich hin!«
Mit großen Augen und offenem Mund machte sie einen Schritt zur Seite und ließ sich auf das Sofa sinken.
»Du und ich, wir sind nicht zur selben Zeit hierhergekommen«, sagte ich. »Du bist der Meinung, schon hier gewesen zu sein, als ich gekommen bin, stimmt’s?«
»Ja, du bist nach mir gekommen.«
»Ich war schon drei Monate hier, als du eingetroffen bist, und hatte die ganze Prozedur mit Carvalho bereits hinter mir. Dennis Powers ist später aufgetaucht. Er war irgendwo unterwegs. Ihm hat man gesagt, ich sei neu und müsse bearbeitet werden wie jeder andere, und dann sollte er dir berichten, wie ich reagiert habe, was ich denke, alles, was ich gesagt habe.«
»Du hast mich reingelegt?«, fragte Catherine. »Um Himmels willen …«
»Nicht reingelegt, Catherine. Ich musste wissen, wie überzeugt du von dem bist, was hier passiert. Ich
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