Vergib uns unsere Sünden - Thriller
den Bus, lasse mich an sieben Blocks vorbei zum Park der Carnegie-Bibliothek bringen. Hier steige ich aus und gehe die Massachusetts Avenue entlang. Ich sehe die Limousine an der Ecke, in der zwei Männer sitzen. Einen Augenblick meine ich, es könnten Miller und sein Partner sein. Sie sind es nicht, aber trotzdem beobachten sie mich, ich kann es im Rücken förmlich spüren, dass sie sich umdrehen und mir nachschauen, als sie sicher sind, dass ich sie nicht mehr sehen kann.
Ich betrete Donovan’s Diner. Nicht zu früh und nicht zu spät. Schon als ich auf den Bartresen zugehe, als Audrey sich umdreht und auf mich zukommt, weiß ich Bescheid.
Ich bin gespannt darauf, was jetzt passiert.
Ich bin gespannt, ob sie irgendetwas tun muss, um sie über meine Ankunft zu informieren.
»Wie immer?«, fragt sie, und ihr Tonfall ist eine Spur zu kess, zu nonchalant. Ich behalte sie genau im Auge, als sie zum Ende der Bar geht, um eine volle Kaffeekanne von der Wärmplatte zu nehmen.
Sie streckt die Hand nach der Tresenkante aus, den Blick auf mich gerichtet, und für den Bruchteil einer Sekunde bin ich gespannt.
Sie lächelt schwach, blinzelt zweimal hintereinander, und ich schaue auf ihre Hand an der Tresenkante. Sie kommt wieder auf mich zu - breites Lächeln, entspannt, alles in Ordnung, alles wunderbar und in Ordnung …
»Zum Mitnehmen?«, fragt sie.
Lächelnd schüttle ich den Kopf. »Lassen Sie nur, Audrey«, sage ich leise. »Ich warte hier auf sie.«
29
Miller war in den Kleidern eingeschlafen. Als er kurz vor halb fünf erwachte, war ihm unbehaglich und etwas übel. Er duschte, suchte sich ein frisches Hemd, war um Viertel nach fünf fertig. Er machte sich Kaffee, rief Roth auf dem Handy an; sie wechselten ein paar Worte, dann verließ Miller das Haus. Um halb sechs traf er im Zweiten Revier ein. Es war noch dunkel. Ein scharfer Wind straffte ihm die Gesichtshaut. Seine Befindlichkeit wurde von sandigen Augen, einem säuerlichen Kupfergeschmack im Rachen, leichter Verwirrtheit und Leere bestimmt. Obwohl um ihn herum die Stadt
erwachte, glaubte er, sich nie einsamer gefühlt zu haben. Er blieb auf dem oberen Treppenabsatz stehen, wandte den Blick zurück in die Fifth Street. Wenn der Job erledigt war, würde er eine Auszeit nehmen, vielleicht verreisen. Irgendwohin fahren, wo er noch nie gewesen war, mal ausprobieren, ob das Leben sich anders anfühlt, wenn man nach Hause zurückschaut. Er wusste, dass er sich selbst in die Tasche log, musste innerlich lächeln, als er die Tür aufstieß und quer durch das Foyer zur Treppe ging.
Roth erschien keine Viertelstunde später. Er setzte sich, nickte Miller wortlos zu.
»Geht’s Amanda gut?«
Roth lächelte. »Amanda geht’s immer gut.«
»Auch mit dir?«
Roth zuckte die Achseln. »Sie will mal verreisen.«
»Das musst du verstehen.«
»Ich hab gesagt, mal sehen … Wenn die Sache hier vorbei ist, können wir mal sehen.«
Miller schaute auf die Uhr: vier Minuten vor sechs. »Jetzt ist sie gleich da«, sagte er. »Audrey.«
»Willst du rüberfahren?«
Miller antwortete nicht, schien über die Möglichkeit nachzudenken. »Wir sehen nun mal so aus, wie wir aussehen«, sagte er schließlich. »Nichts dran zu ändern. Man sieht uns den Cop an. Wenn der Kerl uns zu sehen kriegt, nimmt er die Beine in die Hand.«
»Falls er etwas zu verbergen hat.«
»Das Risiko ist zu groß«, sagte Miller,
»Stimmt.«
»Willst du’n Kaffee?«
»Aus dem Automaten?« Roth schüttelte den Kopf. »Um Himmels willen. Ich geh uns einen kaufen, okay.«
»Nein, nicht nötig.«
»Hast du was von Littman oder Riehl gehört?«
»Die melden sich erst, wenn was passiert«, sagte Miller.
»Also warten wir.«
»Wir warten.«
Roth schwieg eine Weile, anscheinend abwesend, dann sah er Miller an. »Hast du schon mal so eine Sache gehabt?«, fragte er.
»Eine Serie? Nein. Ich hatte mal einen Doppelmord. Ein Latino, der Frau und Schwiegermutter getötet hat, ein paar Jahre bevor ich Detective wurde. Eine ziemliche Schweinerei, die Geschichte.« Miller schloss die Augen, nur um die Bilder noch deutlicher zu sehen, also machte er sie wieder auf. Zwei Frauen - die jüngere Anfang zwanzig, die Mutter Mitte vierzig. Automatische Schrotflinte, in der Küche ihres Hauses. Von den beiden war nicht mehr viel übrig. Der Mann hat dagestanden und durchgeladen, durchgeladen, durchgeladen. Siebenundvierzig Hülsen haben die Kriminaltechniker gefunden. Latinofrikassee hat der Typ von der
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