Vergib uns unsere Sünden - Thriller
gab nichts, an dem er sich hätte festhalten können, nichts, das auf einen Ausweg oder eine Lösung hindeutete. Falls es überhaupt zu einer Untersuchung käme, würde nicht er sie leiten, sondern Killarney. Der Gast vom FBI, der Spezialist für Serienmorde, der alles wusste, aber
ohne ein Gastgeschenk auf die Party gekommen war. Was hatte er ihnen auf den Weg mitgegeben? Dass es schwierig sein würde, den Mann zu finden, der das getan hatte. Bei dem Mann hatte alles vage, skizzenhaft, unpräzise geklungen.
Wo war die Gemeinsamkeit zwischen den Opfern? Waren sie alle in irgendetwas verwickelt gewesen und damit für jemanden zur Gefahr geworden? Was könnte es sonst für ein Motiv geben, dreißig, vierzig oder womöglich noch mehr Menschen zu töten?
Miller nahm noch einmal die Liste zur Hand, dieses eine Blatt Papier, Dokument unvorstellbarer Schrecken. Die Initialen und Daten zu Morden, Dutzenden von Morden, und es fiel ihm schwer zu glauben, dass alle Morde aus ein und demselben Motiv verübt worden waren. Andererseits hatte es so etwas schon gegeben. Der Tod von nicht weniger als vierundsechzig wichtigen Zeugen zum Attentat auf John F. Kennedy. Auto-Unfälle. Abstürze. Selbstmorde. Herzinfarkte. Alles in den achtzehn Monaten danach. Das hier war von ähnlicher Dimension. Und was stand dahinter? Nicaragua. Robey war nicht müde geworden, ihn in diese Richtung zu stoßen. Nicaragua, das lag auf einer Linie mit Ländern wie El Salvador, Korea oder Vietnam. Abschnitte der amerikanischen Geschichte, an die man sich nur mit Unbehagen erinnerte, die von den Menschen lieber totgeschwiegen wurden.
Und dann musste Miller an Carl Oliver denken. An den leblosen Körper auf dem Korridor vor Robeys Wohnung. Jemand war in der Wohnung gewesen, hatte die Tür aufgerissen und Oliver auf der Fußmatte erschossen.
Und im Mordfall Natasha Joyce war bislang weder ein Autopsiebefund noch ein kriminaltechnischer Bericht herausgegeben worden.
Und es gab keinen roten Faden, nichts, was auch nur irgendeinen gottverdammten Sinn ergab …
Miller beugte sich vornüber, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, den Kopf auf die Hände gelegt. Er schloss die Augen und versuchte, ruhig zu atmen.
Er war völlig ausgelaugt, die Erschöpfung saß ihm so tief in den Knochen, dass er seinen Körper kaum noch wahrnahm, und doch ließen ihm diese offenen Fragen keine Ruhe. Die Tatsache, dass er so vieles nicht verstand, erzeugte eine paranoide Anspannung in ihm. Dabei benötigte er doch nur eine einzige echte Spur, der er dann weiter folgen könnte, eine Spur, die anstelle der vielen zugeklappten Türen zur Abwechslung mal eine Tür öffnen würde …
In den frühen Morgenstunden schlief er ein. Die Erschöpfung verschlang ihn förmlich, und er wachte erst am frühen Nachmittag wieder auf. Bis er geduscht und umgezogen war, ging es auf vier Uhr, und nur um nach all dem Aktenstaub und Bildschirmflimmern überhaupt mal wieder frische Luft zu atmen, verließ er seine Wohnung und machte einen Spaziergang. Hinter dem Logan Circle landete er in einem Restaurant, wo er mehr aß als in den zwei Tagen davor. Ihm wurde bewusst, dass er irgendwie eine Balance finden musste. Wenn er so weitermachte, war bald Feierabend.
Er ging zurück zu sich nach Hause, nahm den Hintereingang, versuchte, sich mit Fernsehen abzulenken, aber der Ansturm der Gedanken ließ ihn nicht in Ruhe.
Kurz nach acht Uhr machte es plötzlich klick.
Folge der Spur des Geldes.
Catherine Sheridan hatte am Ende eines jeden Monats Geld überwiesen bekommen … von wem?
Miller stand auf und begann, zwischen Tür und Fenster auf und ab zu gehen. Er versuchte, sich an die Kontoauszüge zu erinnern, die er gesehen hatte. Er versuchte, sich das Bild innerlich wieder vor Augen zu führen, wie er mit Al Roth in dem Zimmer gestanden hatte und den Stapel der Bankunterlagen durchgegangen war, Beleg für Beleg …
Miller überlegte, Roth anzurufen, aber nach einem Blick auf die Uhr verwarf er den Gedanken.
Er ging in die Küche und kochte Kaffee. Dort stand er dann, ganz darauf konzentriert, sich erneut die Szene vorzustellen, wie er die Bankauszüge in der Hand gehalten hatte.
Es war wie bei McCulloughs Konto. Nicht das Konto, aber die Bank. Die Washington American Trust Bank. Da musste es eine Verbindung geben. Washington? Trust?
Auf einmal fiel es ihm wieder ein. Trust … United Trust. Die Überweisungen stammten von einer Gesellschaft mit Namen United Trust. Sie waren dieser Spur nicht
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