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Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Abteilung«, sagte Roth. »Da warten ein paar Fotos auf uns.«

    Ich kam im Juli 1959 in Salem Hill, Virginia, zur Welt, am Tag, an dem Castro in Kuba die Macht übernahm. Salem Hill sitzt in der Gabel zwischen den Staatsstraßen U.S. 301 und 360 in der Nähe von Ashland. Unsere Stadt war kaum breiter als die Straße, an der sie lag. Ich war zwanzig Jahre alt, als meine Mutter starb. Mein Vater starb einen Tag nach ihr. Mit einundzwanzig lernte ich Catherine Sheridan kennen, und die ist jetzt auch tot. Ich scheine mich unter Toten besser auszukennen als unter Lebenden.
     
    Dienstagmorgen will ich mich krank melden.
    Bei dem Gedanken muss ich lachen. Hätte ich den Lauf der Dinge vorher gekannt, dann hätte ich mich krank gemeldet, bevor alles anfing.

    In den letzten paar Tagen denke ich viel über meinen Vater nach. Was für ein Mann er gewesen sein muss, um zu tun, was er getan hat. Was es auf mich für einen Einfluss hatte, denn auch wenn ich es ahnte, beginne ich die Bedeutung dessen, was passiert ist, erst jetzt richtig zu begreifen.
    Was war das für ein Mann, der so etwas tun konnte? Gewalttätig oder mitfühlend? Eigensüchtig oder von solch unendlicher Großzügigkeit, dass ich ihn gar nicht verstehen konnte? Ich bin jetzt siebenundvierzig Jahre alt, und noch immer habe ich ihn nicht ganz verstanden.
    Mein Leben ist in zwei Hälften unterteilt, so viel habe ich verstanden. Das Vorher. Und das Danach.
    Das Vorher:
    »Bleib stehen«, sagte er. Er gab mir ein Stück Holz, dünn wie die Klinge eines Messers. »Mahagoni«, sagte er. »Du musst es ins Licht halten. Siehst du die Maserung?«
    Ich hielt es hoch. Ich sah die Maserung.
    »Die Maserung in einem Stück Holz ist der Fingerabdruck der Zeit. Im Querschnitt erzählt sie uns etwas über das Klima, über Krankheiten, Wachstumszyklen, trockene und feuchte Jahre und den Lauf der Jahreszeiten und noch viel mehr. Die Maserung erzählt uns, was passiert ist, was in der Welt um den Baum herum passiert ist, verstehst du?«
    Ich nickte, lächelte. Ich hatte verstanden.
    Er gab mir ein Tuch, eine Dose mit Wachs. Das Tuch war leicht wie Daunen, gelb und weich.
    »Du musst das Wachs in kreisenden Bewegungen auftragen«, sagte er, »immer nur wenig, Schicht für Schicht. Es braucht fünf, sechs Schichten, manchmal mehr.«
    Er zeigte mir, wie ich das Tuch einmal faltete, um es mir dann über den Zeigefinger zu legen.
    »Mit dem Finger gleitest du über die Wachsoberfläche. Du streichst nur drüber, ohne zu schaufeln. Wenn du schaufelst, bekommst du zu viel. Ein dünner Film auf dem Tuch genügt.
Den reibst du in das Holz ein, kreisend, immer schön im Kreis, wie ich’s dir erklärt habe. Wenn das Wachs eingerieben ist, lässt du das Holz über Nacht liegen, am nächsten Tag nimmst du es wieder zur Hand und wiederholst das Ganze, mit kreisenden Bewegungen reibst du eine dünne Schicht Wachs in das Holz ein.«
    Ich musste es ihm vormachen.
    »Langsamer«, sagte er. »So ist es zu schnell.«
    Mein Finger kreiste langsamer, ich sah, wie das Holz das Wachs aufnahm.
    »Gut«, sagte er. Er gab mir ein anderes Stück Holz, sechs Zoll lang, anderthalb Zoll breit. »Und jetzt das hier«, sagte er, »und wenn du damit fertig bist, liegen dort drüben noch welche.«
    »Wofür sind die?«, fragte er.
    Er beugte sich über mich, der Geruch nach Holz und Wachs und Tabak umgab ihn wie ein Dunst, und er lächelte.
    »Warte es ab«, sagte er. »Du musst es einfach nur abwarten.«
    Ich machte es so, wie er sagte. Ich wartete es ab. Hätte ich es gewusst, ich hätte ihm nicht geglaubt.
     
    Und das Danach:
    Ich stehe auf einem Feld, und ganz plötzlich wird mir klar, dass alles, was sie mir erzählt haben, eine Lüge war, eine so große und umfassende Lüge, und sie war schon so viele Jahre alt, dass die Lügenerzähler selber angefangen haben, sie für eine große und unbezweifelbare Wahrheit zu halten.
    Ich stehe also auf einem Feld, dem Jungenalter erst um wenige Jahre entwachsen, und halte mich für den wichtigsten Menschen dieser gottverdammten Erde, so scheißwichtig, dass ich von meiner Bedeutung einen hochkriege, und dabei bin ich erst ein paar Wochen hier, und auf einmal weiß ich, dass ich mir möglichst schnell und möglichst gründlich in
die eigene Tasche lügen muss, wenn ich mit dieser Geschichte weitermachen will.
    »Ich kann’s nicht ausstehen, wie sie einen ansehen«, sagt jemand.
    »Wer?«, frage ich. Ich sehe dem Mann ins Gesicht, er hat eine Haut wie sonnengegerbtes

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