Vergib uns unsere Sünden - Thriller
wissen musste. Don war ein Magier, Zauberer, Sprachrohr unterdrückter Minderheiten, Politiker, Rebell, Aufrührer, geistiger Terrorist für Ästheten. Don diskutierte über Camus und Dostojewski, Solschenizyn und Soloview, Descartes, Kerouac, Ken Casey, Raymond Chandler und Edward-G.-Robinson-Filme. Sein Vater war Anwalt in Hollywood. Sein Vater kannte einen Haufen Leute. Sein Großvater kannte noch mehr Leute, wusste Geschichten über Cary Grants Arbeit für den britischen Geheimdienst zu erzählen, der während des Zweiten Weltkriegs Nazis und deren Sympathisanten in der Filmindustrie enttarnt hatte. Don Carvalho kannte Leute, die mit Joe McCarthy zusammengearbeitet hatten. Seine Mutter war Israelin aus Tel Aviv mit einem Hintergrund der frühen fünfziger Jahre, einer Zeit, die verbunden war mit dem Aufbau einer Organisation, die sich Mossad ha-Mossad le-Modiin ule-Tafkidim Meyuhadim nannte. Das Institut für Nachrichten und Spezialaufgaben. Das Institut.
»Sie haben das Institut«, sagte Carvalho zu mir. »Und wir haben die Company.«
»Die Company?«
»Central Intelligence Agency.«
»Ach ja«, sagte ich, »die CIA. Die kenne ich.«
Und Don lächelte und schüttelte den Kopf und legte mir
die Hand auf die Schulter. »Nein, die kennen Sie nicht, mein Freund, die kennen Sie ganz gewiss nicht.«
Dann wechselte er das Thema.
So arbeiteten sie. Warfen dir einen Brocken hin. Ließen dich Fragen stellen, auf die sie keine Antworten gaben. Verdammt gut. Catch-as-catch-can. Ständig prüfend, beobachtend, bemüht, deine Prinzipien, deine Grenzen, auszuloten, herauszubekommen, wie weit du gehen würdest, um deine Ansichten in die Tat umzusetzen. Sie suchten nach Überzeugung, dem bedingungslosen Glauben an den einen und einzig richtigen Weg, etwas zu tun. Offenbar. Oder offenbar nicht.
Zwischen meiner ersten Begegnung mit Don Carvalho auf Lawrence Matthews’ Silvesterparty Ende 1979 bis zu meinem ersten Besuch in Langley lagen sechs Monate. Das kommt mir jetzt nicht mehr sehr lang vor. Später erfuhr ich von Don, dass meine »Anwerbung« die schnellste war, die er je gemacht hatte.
Es verging noch ein Jahr, bis ich ins Feld geschickt wurde, und die Dinge, die dazwischen passierten, waren die wichtigsten Ereignisse meines Lebens. Zumindest hielt ich sie damals dafür. Inzwischen weiß ich, dass sie unwichtig waren bis auf eines. Das wichtigste Ereignis meines Lebens fand im Dezember 1980 statt. Ich lebte in einem Apartment am Stadtrand von Richmond. Damals veränderte sich alles. Danach erschien mir plötzlich alles in einem anderen Licht.
Es war schlicht und einfach das Ende desjenigen, der ich war, und der Beginn desjenigen, zu dem ich wurde.
Und wenn ich daran denke, dass am Anfang ein Mädchen mit türkisfarbener Mütze stand …
14
Um Viertel nach eins meinte Robert Miller eine vage Vorstellung von der Frau zu haben, die sie vor sich hatten.
Catherine Sheridan war ein Rätsel.
Vor sich sah er eine absolut einzigartige und zweifellos erschaffene Identität. Das Gefühl bekam er, als er ihre Bücherregale, ihren Papierkram, ihre Korrespondenz, ihr Tagebuch durchsah. Er studierte ihren Reisepass, ihren Führerschein, ihre Bankkarte, Kreditkarte, Scheckbücher; er fand Fotografien von Orten, an denen sie offenbar gewesen war, von Menschen, die sie gekannt hatte, Postkarten, von jemandem an sie geschickt, der einfach mit J. unterschrieben hatte.
Nachdem er sich telefonisch bei Reid vergewissert hatte, dass die kriminaltechnischen Untersuchungen abgeschlossen waren und sie ungehinderten Zutritt zum Haus mit sämtlichem Inventar hatten, ordneten Robert Miller und Al Roth die Artefakte und Aspekte von Catherine Sheridans Leben zu mehreren Gruppen. Sie legten die Sachen im ersten Stock auf dem Flurläufer aus, und als der Platz nicht ausreichte, schafften sie das Zeug in ihr Schlafzimmer. Das Bett schoben sie an die Wand, trugen Kommode und Sessel in das angrenzende Badezimmer. Kleider, Schuhe, Taschen und Ähnliches wurden auf die rechte Seite gelegt. In die Mitte legten sie den Papierkram, aufgeteilt auf mehrere Stöße - Unterlagen zu Finanzen und Identität, Urlaub und Reisen, zu persönlicher Korrespondenz (von der sich kaum etwas fand) und Haus und Versorgung. Und als sie damit fertig waren, mussten sie noch einmal feststellen, dass nichts von alldem auch nur den leisesten Hinweis auf eine berufliche Laufbahn bot. Miller sah ihre Kontoauszüge durch, und wie zu erwarten, war am Ende jedes Monats eine
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