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Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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bleibe.«

18
    Während der ersten Monate seiner Arbeit in der Mordkommission hatte Robert Miller die Toten noch gezählt.
    Bei Nummer neununddreißig hatte er aufgehört. Bald war die Zahl in die Hunderte gegangen, und das Zählen schien keinen Sinn mehr zu machen. Die Konturen der Opfer wurden undeutlicher. Die Männer sahen wie alle Männer aus, die Frauen wie alle Frauen, nicht einmal mehr die Kinder unterschieden sich noch deutlich voneinander. Die Toten waren nur noch Tote - Fremde mit unbekannten Gesichtern: Jane und Joe Doe, 123 Regular und Fifth. Überall und nirgends.
    Keinen seiner Toten hatte Robert Miller persönlich gekannt. Nie war jemand, der ihm nahestand, ermordet worden, als er Dienst hatte.
    Albert Roth dagegen war nach siebzehn Wochen bei der
Mordkommission damit beauftragt worden, einen Mann namens Leonard Frost zu überwachen. Frost war V-Mann gewesen, stand kurz vor Aufnahme ins Zeugenschutz-Programm. Roth hatte sich drei Tage lang um ihn gekümmert, hin und wieder mit ihm Karten gespielt oder vor dem Fernseher gesessen, oberflächliche Gespräche über alles Mögliche mit ihm geführt, ihm die Hand gegeben und ihm alles Gute gewünscht, als sie sich wieder trennten. Vier Stunden später war Frost tot gewesen. In den Kopf geschossen, als er die Arrestzelle des Fünfzehnten Reviers betrat. Erschossen von einem Mann, der sich als Polizist ausgegeben hatte. Roth war an ungefähr dreihundertfünfzig Tatorte gerufen worden. Dabei hatte er mehr als vierhundert Tote zu sehen bekommen. Leonard Frost war der Einzige, mit dem er je gesprochen hatte.
    Der Anblick von Natasha Joyces malträtiertem Leichnam machte Robert Miller und Albert Roth sprachlos. Eine ganze Weile blieben sie in der Tür zu ihrem Schlafzimmer stehen. Sie war rücklings auf ihr Bett gelegt worden. Ihre Bluse und das T-Shirt darunter waren getränkt von riesigen Blutflecken. Die Spuren auf Gesicht und Hals zeugten davon, wie brutal und erbarmungslos auf sie eingeschlagen worden war. An vielen Stellen war die Haut aufgeplatzt, violette Striemen hoben sich vom Kaffeebraun ihrer Haut ab. Die Augen waren zugeschwollen, die Lippen aufgeplatzt und wie das zu Cornrows geflochtene Haar dick mit Blut verkrustet.
    Al Roth war blass. Er schwitzte stark, als er einen Schritt auf Natasha Joyces Körper zutrat. Er und Miller standen zu beiden Seiten ihres Betts. Es war ein Déjà-vu-Erlebnis, eine Szene aus einem Film, den sie zu unterschiedlichen Zeiten gesehen hatten, ein Augenblick des Wiedererkennens von etwas schon einmal Gesehenem.
    Officer Tom Suskind, der nach dem Anruf eines Nachbarn namens Maurice Ducatto als Erster am Tatort war, hatte ihnen
berichtet, dass das Kind des Opfers - Chloe, ein neunjähriges Mädchen - sich bei einer alten Frau am Ende des Flurs aufgehalten hatte. Offensichtlich war Esme Lewis mit dem Mädchen zur Wohnung der Joyce zurückgekehrt und hatte, nachdem die Tür verschlossen war, den Hausmeister gesucht, und als sie ihn nicht finden konnte, den Nachbarn Maurice Ducatto alarmiert, der - nachdem er ein paarmal erfolglos geklopft hatte - in die Wohnung eingebrochen war. Ducatto hatte das Opfer gefunden. Die alte Frau und das Mädchen waren nicht in der Wohnung gewesen. Ducatto hatte die beiden in seine Wohnung gebracht, wo sie bis zum Eintreffen der Polizei geblieben waren. Jetzt war das Mädchen in der Obhut des Jugendamts.
    »Und sonst ist niemand in der Wohnung gewesen?«, fragte Miller.
    Suskind schüttelte den Kopf. »Nein, nur Ducatto und später ich selber.«
    »Und wo ist Ihr Partner, Officer Suskind?«, hatte Roth gefragt.
    »Krank«, antwortete Suskind.
    »Den ganzen Tag?«
    »Gestern schon … Ich bin den zweiten Tag allein.«
    »Man hat Ihnen keinen vorübergehenden Partner zugeteilt?«
    »Es fehlt an Leuten«, antwortete er. »In diesem Teil der Stadt ganz besonders.«
    Miller erwiderte nichts. Er war in Gedanken schon beim Gespräch mit Frank Lassiter, überlegte sich Antworten auf Fragen, die Lassiter unweigerlich stellen würde. Wie gut kannten Sie das Opfer? Wie oft waren Sie in Ihrer Wohnung? Ist Ihnen dabei etwas aufgefallen, irgendetwas, und sei es noch so gering, was darauf hindeutete, dass jemand sie beschattete? Hegten Sie in Gedanken irgendwelche Zweifel an der Identität des Mörders? Daran, dass es derselbe Mann
war, der Mosley, Rayner, Lee und Sheridan ermordet hat? Und warum fehlt diesmal die Schnur? Und wenn er auch sie umgebracht hat, wie gehen Sie dann mit der Tatsache um, dass der

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