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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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einem Mann. Als die Frau irgendwann schließlich doch aufblickt, schiebt sie ihren Brustkasten vor. Zu allem Überfluss trägt sie auch noch ein T-Shirt mit Werbung für ein Männerdeodorant. Über ihren Unterarm ziehen sich trockene Wundränder, die Henning nicht zuordnen kann. Vielleicht hat sie eine Katze. Die Infektionswunden an den dicksten Narben sind aber eindeutig.
    Henning begrüßt sie mit einem freundlichen Lächeln.
    »Hallo«, antwortet sie.
    »Mein Name ist Henning Juul. Ich arbeite bei 123nyheter .«
    Keine Antwort, nur ein müder Blick.
    »Ich schreibe eine Story über Trainingsklubs, also nicht die üblichen Fitnessstudioketten, sondern über die kleinen, speziellen, die sich der Konkurrenz widersetzen. Ich finde, es ist an der Zeit, dass mal jemand etwas darüber schreibt.«
    Ein Lächeln, falsch wie eine Rolex-Uhr auf der Karl Johans gate, aber anders geht es wohl nicht.
    »Und dafür kommen Sie hierher? An einem Sonntag?«
    Ihre Stimme klingt rau, als hätte sich etwas tief in ihrem Hals verhakt.
    »Äh, ja. Während der Woche habe ich über viele andere Sachen zu berichten, und weil ich nicht mehr so viel Zeit habe, dachte ich, dass …«
    Henning merkt, dass es ihm nicht einmal gelingt, sich selbst zu überzeugen. Er kommt ins Stocken. Die junge Frau sieht ihn nur schweigend an.
    »Ist Kent Harry Hansen da?«
    »Nein.«
    »O nein«, sagt er übertrieben aktiv. »Wo ist er denn?«
    »Es gibt auch Leute, die sonntags etwas anderes tun, als zu arbeiten.«
    »Touché«, sagt Henning und lächelt.
    Die Maske des Mädchens bleibt starr.
    »Ist vielleicht sonst jemand aus der Verwaltung hier?«
    »Nee, nur ich.«
    »Und Sie sind …«
    »Ich arbeite hier nur.«
    Henning sieht sich um.
    »Was ist mit Geir Grønningen? Ist der vielleicht heute da?«
    »Der arbeitet hier nicht.«
    »Nein, aber ich habe gehört, dass er hier trainiert.«
    »Ja, und?«
    »Ich brauche ein paar Zitate. Warum sie hier trainieren und so weiter und so fort. Das macht sich immer gut in so einem Artikel.«
    Das Mädchen hinter dem Tresen sieht ihn an, ehe sie in Richtung der Fahrräder nickt, die am Fenster stehen. Ein Mann in einem weißen Muskelshirt tritt ruhig in die Pedale, den Blick fest auf einen Bildschirm geheftet.
    »Das ist er?«
    Das Mädchen nickt erneut. Ansatzweise.
    »Okay, danke für Ihre Hilfe.«
    Henning versucht sich an einem ironischen Lächeln, aber ihr Blick ist bereits wieder an einem anderen Ort.
    Er tritt in den Trainingsraum hinein, in dem sich alle möglichen Geräte um die wenigen Quadratmeter streiten. Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Gewichte klirren. Grunzen und Stöhnen wechseln sich ab. Die Sprache des Testosterons, denkt Henning. Worum sich keiner von ihnen zu kümmern scheint, ist die Tatsache, dass es nichts nützt, stark zu sein, wenn man es nicht schafft, hundertfünfzig Meter zu laufen, ohne nach Atem ringen zu müssen. Viele der Bäuche da drinnen sind ganz schön ausladend, und das sind keine Muskeln.
    »Geir Grønningen?«
    Henning legt eine Hand auf den Lenker. Ein großer Mann mit langen, dünnen Haaren wendet ihm das Gesicht zu. Sein Bart ist gewaltig, besonders auf der Oberlippe und um den Mund herum. Dabei dachte Henning, Grunge wäre aus der Mode.
    »Hallo«, fährt er fort.
    Grønningen antwortet nicht, sondern tritt langsam weiter.
    Henning setzt sich auf ein freies Fahrrad neben ihm, bemerkt aber gleich, dass er mit den Füßen nicht einmal an die Pedale kommt, und bleibt mit baumelnden Beinen sitzen.
    »Ist es okay für Sie, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stelle, während Sie sich aufwärmen?«
    Grønningen hat seinen Blick nach vorn gerichtet.
    Henning sieht ihn so lange an, bis er sich zu ihm umdreht.
    »Mein Name ist Henning Juul«, fährt er daraufhin fort. »Ich arbeite als Journalist bei 123nyheter . Ich habe gerade mit Veronica Nansen gesprochen.«
    Grønningen bewegt den Kopf ein wenig.
    »Sie hat mir erzählt, dass Sie versucht haben herauszufinden, wer …«
    »Sind Sie verrückt?«, faucht Grønningen, erschießt ihn fast mit seinem Blick und sieht sich rasch um. »Sie können doch nicht einfach hierherkommen und …«
    »Warum nicht?«, fragt Henning und zieht die Stirn kraus. »Wir reden doch nur.«
    »Sie verstehen das nicht«, sagt der Mann. »Hauen Sie ab, bevor jemand Sie sieht.«
    »Sie haben recht«, sagt Henning und stellt sich dumm. »Ich verstehe das nicht.«
    Grønningen starrt ihn an. Keiner der beiden sagt etwas, aber Henning hält dem Blick des

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