Vergiftet
umgestellt haben. Jemand, der jederzeit Zugriff darauf hatte.
85
Thorleif lächelt, als er Mia sieht.
»Hallo«, begrüßt er sie.
»Hallo.«
»Ich wollte fragen, ob ich mir vielleicht noch einmal Ihren Laptop ausleihen könnte. Nur für ein paar Minuten«, ergänzt er entschuldigend.
»Aber sicher.«
»Vielen Dank! Ich muss nur schnell eine Sache überprüfen.«
»Nutzen Sie ihn, so lange Sie wollen, das ist schon in Ordnung.«
Mia reicht ihm den Computer über den Tresen.
»Danke. Wie läuft es mit Ihrem Buch?«
»Nicht schlecht. Ich arbeite gerade an einer Fluchtszene. Sie findet in einem Hotel statt«, sagt sie und schenkt ihm ihr vielsagendstes Lächeln.
»Ah«, sagt Thorleif. Er würde sich gern länger mit Mia über ihre schriftstellerischen Ambitionen unterhalten, aber das ist zu riskant. Stattdessen setzt er sich an denselben Platz wie tags zuvor und wirft die Jeansjacke auf den Sessel neben sich. Die Homepage des Hotels strahlt ihm entgegen, als er den Bildschirm aufklappt. Thorleif schiebt seine Kappe zurecht, geht in seinen neu eröffneten Mail-Account und wartet gespannt darauf, dass er sich öffnet.
Keine Antwort von Iver Gundersen.
Thorleif sinkt ein wenig auf seinem Sessel zusammen, entschließt sich dann aber, da er schon einmal online ist, doch noch einen kurzen Blick auf die Zeitungen zu werfen. Ein Artikel berichtet darüber, dass der vorläufige Obduktionsbericht von Tore Pulli keine klare Antwort auf die Frage nach der Todesursache geben konnte. Abgesehen davon gibt es nichts Interessantes über Pulli.
Die meisten Zeitungen haben eigene, weitestgehend identische Berichte über Thorleif gebracht, ohne ein Foto von ihm zu veröffentlichen. Einer der Vorteile, hinter der Kamera zu stehen, ist, dass man dort für die Öffentlichkeit so gut wie unsichtbar ist, denkt er.
»Mia?«, fragt er.
»Ja?«
»Die Toiletten, wo sind die?«
Sie beugt sich über den Tresen und zeigt nach rechts.
»Einfach da vorn am Klavier vorbei, dann sehen Sie sie schon.«
»Okay. Danke. Kann ich Ihren PC so lange hier stehen lassen?«
»Klar. Es ist ja niemand sonst hier.«
Mia lächelt wieder. Thorleif steht auf, geht am Kamin vorbei, passiert ein Hummerbecken am Eingang des Restaurants und biegt hinter dem Klavier um die Ecke. Nach der stinkenden Biotoilette in Einars Hütte duften diese Räumlichkeiten angenehm frisch. Der Boden ist grau gekachelt, und an den Wänden leuchten weiße Fliesen.
Als er fertig ist, wäscht er sich an dem viereckigen Waschbecken unter dem Fenster ausgiebig die Hände, ehe er sich mit den Papierhandtüchern abtrocknet, die an seinen Fingern kleben bleiben. Als er die Toilette verlässt und zurück in die Lobby gehen will, lässt ihn der Rücken eines Mannes, der am Empfang steht, innehalten. Der Mann trägt eine schwarze Lederjacke und hat einen Pferdeschwanz.
Ørjan Mjønes sieht sich um, als er aus dem Zug steigt. Eine Tankstelle, ein Hotel, ein Laden. Ist das alles? Das wird dann wohl eher ein kurzer Aufenthalt. Trotzdem, wohin wäre ich an Thorleifs Stelle gegangen, wenn ich hier ausgestiegen wäre? Was hätte ich für Bedürfnisse?
Mjønes geht zuerst zu dem Laden, der rechts neben der Tankstelle liegt, aber der ist geschlossen. Der Kiosk daneben ist geöffnet, die Frau an der Kasse hat Brenden aber noch nie gesehen. Mjønes geht die Treppe nach unten. Der Abend ist noch immer warm, aber der Himmel über ihm zieht sich bedrohlich zu, passend zu seiner Laune.
Vor ihm ragt das Hotel, ein roter Bau aus den Achtzigerjahren, in die Höhe. Eigentlich könnte ich gleich da einchecken, denkt er. Der letzte Zug nach Oslo ist längst weg.
Er lächelt dem freundlichen Mädchen am Empfang zu, dann nimmt er das zusammengefaltete Bild von Brenden heraus und stellt sich als Stian Henriksen von der Polizei vor.
»Ich bin auf der Suche nach dieser Person«, sagt er. »Sie haben diesen Mann nicht zufällig gesehen?«
86
Thorleif steht stocksteif da. Es hat ihm den Atem verschlagen. Er kann sich nicht mehr rühren. Darf sich nicht rühren.
Wie zur Hölle ist der Kerl hierhergekommen?
Panisch sieht Thorleif sich um. Das Risiko, durch das Restaurant zu laufen, aus dem gedämpfte Musik und leise Stimmen in die Lobby dringen, darf er nicht eingehen. Es liegt zu nahe bei der Rezeption. Zu den Toiletten kann er auch nicht zurückgehen, denn vor dort aus gibt es keinen Ausweg. Er macht kehrt und sieht unmittelbar hinter sich eine Tür, über der ein grünes Exit-Schild prangt.
Seine
Weitere Kostenlose Bücher