Vergiftet
zeigen.«
Fünfunddreißig Minuten später sitzt Henning in Brogelands Büro. Er stellt den Laptop, den er unterwegs noch schnell zu Hause abgeholt hat, auf den Schreibtisch. Brogeland setzt sich und zieht den Stuhl näher an die Tischkante. Henning liest über seine Schulter mit. Besonders die zweite Hälfte studiert er mit extrem großem Interesse.
Ich weiß nicht, ob es als Beweis taugt, aber der Mann, der mich erpresst hat, hat wahrscheinlich einen Fingerabdruck in meinem Auto hinterlassen. Das war an dem Tag, als er testen wollte, ob ich in der Lage wäre, auf Befehl einen Menschen zu töten. Der Abdruck ist an der Beifahrertür auf der Armlehne rechts. Ich habe den Wagen in der Kirkegaten geparkt. Es hängen wahrscheinlich schon einige Knöllchen hinter dem Scheibenwischer. Aber wenn Sie jemanden bei der Polizei, dem Sie vertrauen, dazu veranlassen könnten, das zu überprüfen, sollte es möglich sein, dem Typen einen Namen zu geben.
Ich hoffe, Sie können mir helfen. Sie sind im Moment meine einzige Hoffnung. Ich kann noch nicht verraten, wo ich bin, aber wenn Sie mir helfen, muss ich mich hoffentlich nicht mehr allzu lange verstecken.
Ich möchte Sie auch bitten, Kontakt mit meiner Lebensgefährtin Elisabeth Haaland aufzunehmen und ihr mitzuteilen, dass ich wohlauf bin. Aber bitte diskret. Ich glaube nämlich, dass unsere Wohnung überwacht wird.
Mit freundlichen Grüßen
Thorleif Brenden
Henning wartet ungeduldig, dass Brogeland zum Ende kommt. »Haben Sie seine Wohnung schon nach Überwachungsequipment durchsucht?«, fragt er schließlich.
»Ja«, antwortet Brogeland. »Wir haben einen Haufen Hightech-Apparate gefunden. Sowohl Video als auch Audio.«
»Sieh an.«
Brogeland nickt, als es an der Tür klopft und Ella Sandland den Kopf ins Zimmer steckt. Sie sieht Henning hinter Brogeland stehen, ehe sie ihrem Kollegen mit einer Kopfbewegung signalisiert, dass er mal kurz nach draußen kommen soll. Als Brogeland wenig später wieder zurückkommt, hat er einen ernsten Gesichtsausdruck.
»Was ist?«, fragt Henning.
»Wir haben soeben die Mitteilung von der Polizei in Geilo bekommen, dass ein Toter auf einem Abhang am Hallingskarvet gefunden wurde. Die Beschreibung der Leiche passt auf Thorleif Brenden.«
94
Henning geht nach Hause und legt sich aufs Sofa. Er starrt an die Decke und denkt an Elisabeth Haaland, an den Bescheid, der sie erwartet, wenn sie ihn nicht schon bekommen hat. Und er denkt an ihre Kinder, acht und vier Jahre alt. Eine harte Zeit steht ihnen bevor.
Henning schaut auf die Uhr auf seinem Handy. Es ist noch zu früh, um etwas über Brenden zu schreiben, denkt er, abgesehen von dem Leichenfund natürlich. Es wird einige Stunden dauern, bis bestätigt werden kann, dass es sich wirklich um Brenden handelt. Spätestens dann muss die Familie informiert werden. Aus Rücksicht unterlässt man es tunlichst, in den ersten Tagen mit Freunden oder Angehörigen der Hinterbliebenen zu reden, auch wenn sich heute kaum noch jemand bei der norwegischen Presse an diese ungeschriebene Taktregel hält.
Eigentlich sollte ich den Job wechseln, denkt er, so wie ich diese Branche hasse. Es gibt bald keinen Anstand mehr. Und im Grunde genommen bist du auch nicht besser, wenn du eine gute Story witterst. Aber will er so sein? Will er das alles?
Genau da liegt der Hund begraben. Er weiß nicht, was er will …
Ihm kommt ein Gedanke. Er steht auf. Und noch ehe er den Gedanken zu Ende gedacht hat, ruft er Iver an.
»Was ist los?«, fragt Iver nach wenigen Klingelzeichen. »Ich habe Kopfhörer und eine Fernbedienung bekommen«, sagt er glücklich, ehe Henning dazu kommt, etwas zu sagen. »Jetzt kann ich wenigstens mit der Umwelt kommunizieren.«
»Tu’s nicht.«
»Hä?«
»Ich möchte nicht, dass du mit jemandem sprichst. Auf keinen Fall mit den Medien. Haben sie dich schon angerufen?«
»Warum sollte irgendjemand mich anrufen?«
Henning erzählt ihm von dem Koma-Artikel und dem Leichenfund.
»Eine Menge Leute wissen, dass du im Krankenhaus liegst«, sagt er. »Und die Medien werden sich über deinen Zustand informieren wollen, vielleicht noch nicht heute, aber garantiert morgen, zum Wochenstart. Mir wäre es am liebsten, wenn im Moment noch niemand erfährt, dass du wieder aus dem Koma erwacht bist. Wenn Brendens Mörder herauskriegen, dass er dir eine E-Mail geschickt hat, und sie dann herausfinden, dass du im Koma liegst, gehen sie vielleicht davon aus, dass Brendens Nachricht dich noch nicht
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