Vergiftet
Brusthöhe, weiße rechteckige Flicken an den Oberarmen, wie aus einem Science-Fiction-Film. Henning kann sich Holte wunderbar in dieser Jacke vorstellen.
Langsam bewegt er sich weiter in die Wohnung hinein. Links ist eine kleine Küchenecke, in der sich benutzte Teller und Gläser stapeln. Ein Herd mit Essensresten und Fettflecken. Leere Flaschen unter einem blauen Tisch. Bier und Coke Zero, ein paar Flaschen Tequila, leere Dosen Metapure Zero Carb. Weiter in der Wohnung sind die Wände vertäfelt. Soweit Henning sehen kann, gibt es keine Alarmanlage.
Er geht ins Wohnzimmer. Auf dem Boden neben dem Kamin befinden sich zwei schwere Hanteln. Vor dem Fernseher liegt ein unsortierter Haufen DVD s, eine Mischung aus Action- und Trainingsvideos mit Muskelpaketen auf den Covern. Mitten im Raum steht ein ausladender Trockenständer mit Socken, Unterwäsche und T-Shirts. Auf dem einen T-Shirt halten sich drei nebeneinanderhockende Affen Augen, Ohren und Mund zu, wobei sie sich köstlich zu amüsieren scheinen. Die Shirts sind erstaunlich klein, wahrscheinlich, damit sie so eng am Körper anliegen wie nur möglich.
Henning bleibt stehen und lauscht, hört aber nichts. Er geht zu den Regalen, durchsucht die Schubladen, findet Karten vom Pizzaservice, Kabel und einen Karton mit einer Videokamera. Er beginnt, das ganze Zimmer systematisch zu durchsuchen, findet aber nichts von Interesse.
Im Schlafzimmer riecht die Luft muffig, abgestanden. Henning widersteht der Versuchung, das Fenster zu öffnen. Er geht auch hier Schränke und Schubladen durch, ohne etwas anderes als Kleidung und ein Pillenglas zu finden, in dem sich, wie er annimmt, Steroide befinden. Hinter und unter dem Bett nur Staub, ein Staubsauger und eine durchsichtige Plastikhülle mit einer Extradecke und -kissen. Auf dem Nachtschränkchen sammelt ein Buch von Minette Walters Staub. Henning wundert sich, dass ein Mann wie Holte in seiner Freizeit liest, aber Krimis gelten ja als leichte Kost.
Im Bad riecht es nach Schimmel. Das Hängeschränkchen über dem Waschbecken beinhaltet Zahnpasta, Rasierschaum, ein paar Cremes und Zahnseide. Im Wäschekorb liegt ein T-Shirt mit Blutspritzern. Ivers Blut? Den Bruchteil einer Sekunde überlegt er, das T-Shirt mitzunehmen, aber dann macht er nur ein Bild davon.
Ein Knall im Treppenhaus lässt ihn herumfahren. Henning läuft eilig zur Wohnungstür und schleicht, so leise er kann, nach draußen. Schritte nähern sich. Er sieht sich hektisch um, und während die Schritte sich von unten nähern, zieht er die Schuhe aus und schleicht sich auf Socken weiter nach oben. In der siebten Etage bleibt er an die Wand gedrückt stehen und hält die Luft an. Die Schritte verstummen. Henning ist sich nicht sicher, glaubt aber, dass sie vor Holtes Wohnung stehen geblieben sind. Ist er etwa gar nicht beim Training?
Ein Schlüsselbund klirrt. Henning hört, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und umgedreht wird, aber anstatt dass die Tür aufgeht, schnappt das Schloss zu.
»Hm«, hört er die Person unten sagen, ohne die Stimme zuordnen zu können. Im nächsten Augenblick knallt die Tür zu. Henning fackelt nicht lange. Ohne Zeit darauf zu verschwenden, die Schuhe anzuziehen, rennt er die Treppe nach unten, wobei er auf seinen Socken ein paarmal fast ausrutscht. Erst ganz unten bleibt er stehen und atmet erleichtert aus, bevor er einen hastigen Blick nach oben wirft.
Niemand da.
91
Hell. Ist es hell?
Punkte, weit weg. Schwarz, wabernd, vor und zurück. Ein Pfeifen. Ein Hämmern, das näher kommt. Die Augenlider öffnen sich. Doch, es ist hell. Weiß. Ganz allmählich wird sein Blick klarer. Aber er spürt nichts. Wo ist er?
Unter der Decke schnurrt ein Ventilator. Er nimmt eine Bewegung neben sich wahr. Versucht, den Kopf zu drehen. Unmöglich, er kann sich nicht rühren, sieht aber ein helles, lächelndes Gesicht.
»Hallo, Iver! Wie schön, dass Sie wach sind.«
Kralle im Nacken. Der Puls jagt hoch. Ein harter Schlag ins Gesicht. Er kann sich nicht bewegen. Verdammt.
»Ich heiße Maria.«
»Hallo, Maria.«
Seine Stimme klingt fremd. Wie die eines anderen.
»Ich sage dem Arzt Bescheid, dass er kommen soll.«
Sie schwebt über den Boden und verschwindet.
»Warten Sie«, krächzt er.
Maria dreht sich um, kommt zurück. Sie hat ein hübsches Gesicht, ein charmantes Lächeln. Er kann sich immer noch nicht rühren.
»Bin ich gelähmt?«
Warmes Lächeln.
»Aber nein! Keine Angst, Sie sind nur eingegipst. Außerdem
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