Vergiftet
Er sollte fit sein, um das zu bewältigen. Was also ist los, verdammt noch mal? Sind das die ersten Anzeichen, dass er alt wird? Signalisiert sein Körper ihm, es von jetzt an ruhiger angehen zu lassen?
Niemals, sagt er zu sich selbst. Keine Schwäche zeigen. Ganz oder gar nicht. Bis er umkippt.
Brogeland ergreift das Handy, als eine SMS von Anita ankommt.
»Hallo, Schatz. Kannst du heute einkaufen? Alisha bringt nach dem Kindergarten Oda Marie mit. Kauf was Gesundes und Gutes. J xxx«
Brogeland schickt ein kurzes »i.O.« zurück.
Während des Verhörs von Petter Holte hatte er das Handy auf lautlos geschaltet. Jetzt sieht er, dass in der Zwischenzeit sieben Anrufe eingegangen sind. Er kontrolliert die Liste der Anrufe. Journalisten. Zweimal Henning Juul. Der Textmeldung nach zu urteilen, hat er einen Bescheid auf dem Anrufbeantworter hinterlassen.
Brogeland seufzt, als er an die Schärfe in Arild Gjerstads Stimme in der Sitzung eben denkt. Wie üblich ging es um undichte Stellen. Und Gjerstad hat ihm mit seinen Blicken mehr als deutlich zu verstehen gegeben, dass er ihn im Verdacht hat, erst recht nachdem er kurz vorher seinen Kontakt zu Henning Juul erwähnt hatte. Der Ressortleiter hat ihnen jeden weiteren Kontakt zur Presse untersagt und Repressalien angedroht, falls sich einer von ihnen nicht daran hält.
Brogeland starrt auf Juuls Namen auf dem Display. Dann schüttelt er den Kopf und legt das Handy weg. Zeit, nach Hause zu fahren.
Auf dem Weg nach Grünerløkka versucht Henning, Kent Harry Hansen zu erreichen, aber er geht nicht ans Telefon, so lange Henning es auch klingeln lässt. Er denkt an Petter Holte, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Die Beweise sprechen gegen ihn. Genau wie bei Tore Pulli. Und genau wie sein Cousin beteuert Holte seine Unschuld. Die Geschichte wiederholt sich, denkt Henning. Aber sollte Holte tatsächlich unschuldig sein, wer hätte dann ein Motiv, Robert van Derksen umzubringen? Warum musste er sterben? Und warum wird ausgerechnet Petter Holte die Schuld dafür in die Schuhe geschoben?
Henning fällt eine Sache ein, die Irene Otnes bei ihrem letzten Gespräch gesagt hat. Er wählt ihre Nummer und fragt, was sie damit gemeint hat: dass Petter Holte den Frauen nicht genug Widerstand leistet.
»Er ist ein Pantoffelheld, um das Kind beim Namen zu nennen«, antwortet sie.
»Ja, das haben Sie gesagt, aber was konkret meinen Sie damit?«
Henning hält sich das andere Ohr zu, um das Prasseln des Regens auszublenden.
»Es bestand nie ein Zweifel, wer bei Gunhild und ihm die Hosen anhatte. Er wurde zum reinsten Welpen, wenn sie in der Nähe war.«
»Gunhild?«
»Gunhild Dokken, seine alte Flamme. Und wenn es stimmt, was ich gehört habe, hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, sie zurückzugewinnen. Allerdings ist das wenig aussichtsreich. Ich wünsche Petter, dass das auch so bleibt. Gunhild hat ihm nicht gutgetan.«
Henning passiert die Deichmanske-Bibliothek in der Thorvald Meyers gate.
»Petter hat mir schon immer leidgetan«, plaudert sie weiter. »Er hat’s nicht leicht.«
»Inwiefern?«
»Waren Sie schon mal bei Kraft & Respekt ?«
»Mehrmals.«
»Dann haben Sie doch sicher auch Gunhild getroffen«, sagt Otnes. »Sie sitzt am Empfang. Und Petter trainiert ja mehr oder weniger jeden Tag dort.«
Die miesepetrige Zicke, denkt Henning und überquert noch schnell die Kreuzung an der Pauluskirche, ehe die Ampel auf Rot umspringt.
»Und wenn sie nicht im Studio ist, sieht er überall ihre Spuren.«
»An was denken Sie dabei?«, fragt er und bleibt vor dem Probat stehen. Im Schaufenster hängt ein weißes T-Shirt mit einem alten Foto von Carola Häggkvist. Unter dem selig-christlichen Lächeln steht: Fremder – was verschweigst du mir?
»Gunhild hat das Klublogo entworfen«, sagt Otnes.
»Von Kraft & Respekt ?«
Henning versucht, sich das Logo ins Gedächtnis zu rufen, während seine Gedanken auf Hochtouren laufen.
»Gunhild war eine der Ersten, denen Vidar geholfen hat, als er für die Drogenfürsorge gearbeitet hat. Sie war nach einem Leben mit Diebstählen und Stoff und Gott weiß was sonst noch alles ziemlich am Boden. Vidar hat sie wieder aufgepäppelt und dafür gesorgt, dass sie eine Ausbildung als Grafikdesignerin macht. Sie ist ziemlich gut. Und als Vidar das Kraft & Respekt gegründet hat, bekam sie den Auftrag, das Logo zu entwerfen.«
»Aha«, antwortet Henning.
»Er hat ihr auch zu anderen Aufträgen verholfen, soweit ich weiß. Unter anderem
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