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Vergiftet

Vergiftet

Titel: Vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Enger
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Umstürzen.
    »Was hast du jetzt vor?«, fragt Ahmetaj, als Mjønes sich mit dem Blatt in der Hand aufrichtet.
    »Räuber und Gendarm spielen«, antwortet Mjønes und grinst.
    64
    In amerikanischen Krimiserien sind die männlichen Rechtsmediziner klein und dick, während die Frauen hübsch sind, lange Beine haben und frisch geschieden sind. Beide Geschlechter leiden aber unter ihrem tristen Privatleben.
    Dr. Karoline Omdahl passt, soweit Henning das sehen kann, in keine dieser Kategorien. Als er vor ein paar Jahren einen Artikel über den Alltag von Rechtsmedizinern geschrieben und dabei eben jene Karoline Omdahl als Beispiel herangezogen hat, fand er heraus, dass sie verheiratet war, drei erwachsene Kinder und ein großes Herz für Golden Retriever hatte. Inmitten der üppigen Bildergalerie von Hunden, Enkeln und Kindern ist es Henning nicht schwergefallen, alle Mythen und Klischees über Rechtsmediziner hinter sich zu lassen. Trotzdem hat er es sich nicht verkneifen können, seinen Text mit Floskeln über Verwesungsgeruch, Mageninhalte und aufgesägte Brustkörbe zu würzen.
    Jetzt wählt Henning wieder Omdahls Nummer, und nach mehrmaligem Klingeln geht sie auch ans Telefon. Henning stellt sich vor und fragt, ob sie sich noch an ihn erinnert.
    »Oh, hallo«, sagt sie überrascht. »Doch, ja, ich erinnere mich an Sie.«
    »Danke, dass Sie mir damals das Interview gegeben haben.«
    »Keine Ursache.«
    »Wie geht es Ihren Hunden?« Henning hört, dass sie einen Schluck trinkt.
    »Oh, danke, denen geht’s gut. Yash hatte letzte Woche eine Entzündung im Fuß, aber zum Glück ist jetzt wieder alles in Ordnung.«
    »Das freut mich. Haben Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit?«
    Es wird ein paar Sekunden still.
    »Das kommt darauf an, worum es geht.«
    »Es geht um Tore Pulli.«
    Wieder wird es still.
    »Juul, was diesen Fall angeht, kann ich nicht mit Ihnen sprechen.«
    »Klar, das weiß ich. Aber sind Sie denn mit der Obduktion schon fertig?«
    »Die Polizei hat eine Obduktion in Auftrag gegeben, und wir haben diesem Fall heute die höchste Priorität eingeräumt, mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Henning nickt. »Wie lange wird es dauern, bis ein vorläufiger Obduktionsbericht vorliegt?«
    »Im Laufe des Tages …«
    »Okay. Was tun Sie, ganz konkret, für so einen vorläufigen Bericht? Ich meine, was wird da untersucht?«
    »Wir öffnen den Leichnam und nehmen eine makroskopische Beschau der Organe vor, suchen nach inneren Verletzungen, Stichwunden, Schussverletzungen und so weiter.«
    »Und für den endgültigen Bericht?«
    »Der umfasst auch eine toxikologische Untersuchung, eventuelle Analysen von Blut und Körperflüssigkeiten und – wenn gefordert – eine DNA -Analyse. Außerdem nehmen wir Gewebeproben aus den verschiedenen Organen. Das wird routinemäßig gemacht, allenfalls noch ergänzt durch spezielle Befunde der Obduktion. All das wird dann im endgültigen Bericht zusammengefasst.«
    »Ah ja. Wann liegen die Ergebnisse all dieser Untersuchungen denn in der Regel vor?«
    »Das dauert seine Zeit. Manchmal braucht es dafür Monate.«
    Monate, denkt Henning. Eine halbe Ewigkeit.
    »Dann noch eine generelle Frage: Was könnte es für Gründe geben, dass ein ansonsten gesunder Zweiundvierzigjähriger plötzlich tot umfällt?«
    »Das kommt darauf an, was Sie mit ›ansonsten gesund‹ meinen. Man kann viele potenziell tödliche Risikoherde in sich haben, ohne es zu wissen. Herzfehler zum Beispiel. Wenn die nicht im Laufe von Minuten qualifiziert behandelt werden, ist Schluss. Solche Sachen können jederzeit auftreten.«
    »Hört sich übel an.«
    »Es kann auch eine Ader im Herzen platzen oder die Hauptschlagader in der Brust oder im Bauch. Das passiert, wenn das Gewebe krankhaft verändert ist, aber auch bei ganz gesundem Gewebe. Eine andere Möglichkeit ist ein Blutgerinnsel im Hirn oder eine plötzliche Gehirnblutung.«
    »Ich glaube, ich verstehe«, sagt Henning. »In diesem Fall sah es so aus, als hätte Pulli plötzlich keine Luft mehr bekommen. Passt das zu einer der Ursachen, die Sie genannt haben?«
    »Schon möglich.«
    »Wenn ich Ihnen sage, dass er auch die Kontrolle über seine Muskeln verloren zu haben schien, was sagt Ihnen das dann?«
    »Auch dafür kann es viele Ursachen geben. Möglicherweise ist Gift im Spiel gewesen, auch wenn sich das in diesem Fall nicht sonderlich wahrscheinlich anhört.«
    »Warum nicht?«
    »Er ist im Gefängnis gestorben.«
    »Ja«, hört Henning sich selbst sagen.

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