Vergiftet
Schritt nach vorn, als sie auflegt.
»Hallo«, sagt sie und lächelt. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Ich wollte fragen, ob Sie einen Internetzugang haben.«
»O ja, natürlich. Die gesamte Lobby ist WLAN -Zone. Hotelgäste und Gäste von außen können sich gratis einloggen.«
»Wunderbar«, sagt Thorleif, froh über jede Möglichkeit, Geld zu sparen. Die Frau schenkt ihm ihr breitestes Servicelächeln. Er sieht sich um.
»Gibt es auch einen Computer, den ich benutzen kann?«
»Nein, leider, so etwas haben wir nicht. Aber wenn Ihr Handy WiFi-fähig ist, geht das auch.«
Thorleif schüttelt den Kopf. »Ich habe auch kein Handy dabei«, sagt er. »Gibt es ein Telefon, von dem aus ich telefonieren könnte? Ich bezahle natürlich dafür.«
»Bedaure, ich … Das haben wir auch nicht.«
Thorleif senkt den Blick. Es entsteht eine peinliche Stille.
»Wohnen Sie hier?«, fragt sie.
Thorleifs Blick bleibt an einer Art Schwarzem Brett hängen, an dem Zettel und Plakate ein willkürliches Muster bilden.
»Nein. Ich wohne … in einer Hütte weiter oben in den Bergen.«
»Und Sie haben weder einen Laptop noch ein Handy dabei?«
»Hm.«
Es wird wieder still. Was soll er jetzt machen? Im nächsten Ort sein Glück probieren?
»Sie können meinen Rechner benutzen, wenn Sie wollen.«
Thorleif blickt auf und sieht sie an, als sie ihre Laptoptasche hochhält.
»Ich habe immer meinen Laptop dabei, besonders abends, wenn so wenig los ist.«
»Wirklich? Ich darf Ihren Computer benutzen?«
»Wenn Sie sich so hinsetzen, dass ich Sie im Blick habe …« Sie lächelt und zeigt auf die schwarzen Ledersessel vor dem Kamin. »Man kann ja nie wissen, nicht wahr?«
»Nein, kann man nicht«, sagt Thorleif, den Blick auf das freundliche Lächeln gerichtet. »Tausend Dank! Sie ahnen ja nicht, wie dankbar ich Ihnen bin, dass …« Er stockt, sieht sie an.
»Ich denke, ich sehe es Ihnen an«, sagt sie.
»Tatsächlich?«
Sie nickt eifrig. »Ich bin Schriftstellerin, wissen Sie. Oder – ich will eine werden. Darum hab ich auch immer meinen Laptop dabei, falls sich mal eine Lücke zum Schreiben ergibt. Und ich habe einen Blick für Gesichter. Aber kein Wort zu meinem Chef! Er kommt auch in meinem Buch vor, wissen Sie.« Sie lächelt verstohlen.
Thorleif erwidert ihr Lächeln, wird dann aber schnell wieder ernst. Der Gedanke, dass sein Gesicht jetzt im Gedächtnis der hilfsbereiten jungen Frau gespeichert ist, bohrt sich wie ein Keil in seinen Magen. Er nimmt die Laptoptasche entgegen und versucht sich an einem dankbaren Nicken. »Ich wollte auch schon immer ein Buch schreiben«, sagt er, um irgendetwas zu sagen.
»Nicht wahr, das hat was?«
Thorleif nickt.
»Mein Name ist übrigens Mia.«
»Hallo, Mia.«
Sie sieht ihn erwartungsvoll an.
»Ich heiße … Einar.«
»Werden Sie länger hier sein, Einar?«
»Nein, ich … Ich weiß es noch nicht genau.«
»Ich arbeite jeden Abend hier, schauen Sie einfach wieder rein. Am Wochenende hat auch das Restaurant geöffnet.«
»Okay«, sagt Thorleif zögernd. »Ich werde es mir merken.« Er dreht sich um und sucht sich einen Ledersessel, in dem er mit dem Gesicht zu Mia sitzt, damit sie nicht sieht, was er tut. Der Bildschirm erwacht zum Leben, als er den Laptop aufklappt.
»Mein Rechner erkennt das Netzwerk automatisch, Sie können also gleich lossurfen.«
Thorleif beantwortet ihr charmantes Lächeln mit einem dankbaren Blick.
Seit ihm eingefallen ist, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz in seinem Auto möglicherweise seine Fingerabdrücke hinterlassen hat, grübelt er darüber nach, mit wem er sich in Verbindung setzen könnte und wie er das am besten anstellen soll. Die Polizei zu kontaktieren, kommt nicht infrage, da der Mann mit Pferdeschwanz meinte, die hätten sie unter Kontrolle. Thorleif hat in Erwägung gezogen, einen seiner Arbeitskollegen anzurufen, aber die wissen, dass Thorleif zu dem Team gehörte, das Tore Pulli interviewen sollte. Das wäre auch zu unsicher, er muss sich etwas anderes ausdenken.
Aus alter Gewohnheit loggt er sich auf der Hauptseite von TV 2 ein. Auf den ersten Blick kann er nichts über Tore Pullis Tod finden. Genauso wenig über sich. Im Nachrichtenteil sieht er ein Interview, das die Onlineredaktion mit Guri Palme geführt hat. Daneben ist ein bearbeitetes Video mit den letzten Bildern von Pulli eingestellt. Wahrscheinlich Reinertsens Aufnahme, denkt Thorleif. Er kann sich nicht aufraffen, sich den Bericht anzusehen. Stattdessen
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