Vergiss das mit dem Prinzen: Roman (German Edition)
Ich konnte mich nicht konzentrieren und ließ mich von den unverständlichen Dialogen einlullen.
Als die Sitze mit dumpfem Aufprall nach oben klappten, erwachte ich, Licht flammte auf. Zwei Frauen gingen den Mittelgang hinauf, tupften sich Tränen aus den Augen, und ich hörte die Wörter »meisterhaft« und »schonungslos«. In der Sitzreihe vor mir putzte sich ein Mann lautstark die Nase, und ich seufzte erleichtert, weil ich mir offenbar ein beklemmendes filmisches Kulturereignis erspart hatte.
Draußen war es immer noch hell. Würde der Tag denn niemals zu Ende gehen? Ich hatte gehofft, im Schutz der Dunkelheit heimkehren zu können, mich unbemerkt in mein Zimmer zu stehlen, die Decke über den Kopf zu ziehen und mir einzureden, morgen würde der Neuanfang beginnen.
Dem Kino gegenüber lag ein französisches Restaurant. Als Teenager hatte ich es oft mit Tante Lyd besucht, moules marinières gegessen und trockenen Rotwein getrunken. Mit fünfzehn sei ich alt genug für Rotwein, hatte sie behauptet. Soweit ich mich erinnerte, war das Lokal nur schwach beleuchtet und das Personal kaum geneigt, Notiz von den Gästen zu nehmen. Da drin konnte ich ungestört einige Zeit verbringen. Als ich eintrat, blickte der weißhaarige Besitzer hinter der Theke auf und dirigierte mich zu einem Ecktisch.
Dort war es so dunkel, dass ich die Speisekarte nicht lesen konnte. Ich bat um trockenen Rotwein. Den servierte er mir in einem randvoll gefüllten Wasserglas. »Extra für Sie«, vertraute er mir ungewöhnlich jovial an. »Pour la nièce de Lydia Bell. Ah, les belles filles Devereux!«
Dann tänzelte er zur Bar zurück und summte eine Melodie – den Titelsong von Diese Devereux Girls , den Tante Lyds Co-Star Linda Ellery gesungen hatte. Ich drehte das Glas hin und her und beobachtete, wie sich das Kerzenlicht auf der Oberfläche des Rotweins brach. Es war jedes Mal seltsam, an den einstigen, längst verblassten Ruhm meiner Tante erinnert zu werden … Vielleicht hatte ich in der Selbstsucht meiner Jugend geglaubt, sie würde nur mir gehören, statt sie als Person mit eigenen Rechten und einer öffentlichen Identität zu sehen.
Langsam trank ich den Wein, und seine Wärme breitete sich in mir aus. Ich dachte an das Haus, wo Tante Lyd ständig auf den Beinen war, kochte oder sauber machte oder mit sanfter Stimme Ratschläge erteilte. Wo sie für Frieden zwischen Percy und Eleanor sorgte, ohne jemals Partei zu ergreifen. Wo sie mir ein kostenloses Zimmer angeboten und nie gefragt hatte, wie lange ich bleiben würde. Niemals hatte sie mir das Gefühl gegeben, ich wäre ihr im Weg. In ihrem Wohnzimmer stapelten sich die Country-House -Hefte. Sie hatte alle meine Kolumnen gelesen und nur meinetwegen ein Magazin abonniert, das sie nicht interessierte.
Und all das dankte ich ihr mit Egoismus und gedankenlos unhöflichem Benehmen. Ich musste ihr zustimmen – ich hatte meine tapfere, kluge Tante tatsächlich für eine senile Frau gehalten, die sich von einem hinterhältigen Installateur betrügen ließ. Ich fand Jim nach wie vor verdächtig, doch was immer seine Motive waren – sie konnte für sich selber sorgen. Und für alle anderen. Ich musste mich bei ihr entschuldigen. Ohne mein Glas zu leeren, stand ich auf und verabschiedete mich von dem Besitzer des Lokals, der mir nachrief, ich solle meine Tante grüßen.
Als ich den Elgin Square erreichte, dämmerte der Abend, und eine Straßenlampe warf orangegelbes Licht auf den Kinderspielplatz. Alles andere versank in nebliger Düsternis. Auf den weißen Eingangsstufen von Tante Lyds Haus sah ich einen Mann sitzen, seinen Kopf in den Händen, den dunklen Mantel zu beiden Seiten ausgebreitet. Ich hatte mir dieses Bild so oft vorgestellt, dass ich meinen Augen nicht traute und glaubte zu halluzinieren. Ich blieb stehen. Sogar aus der Ferne, trotz des verborgenen Gesichts kannte ich diese Gestalt besser als sonst jemanden. Ich würde Martin überall erkennen.
Als hätte er meinen Blick gespürt, hob er den Kopf und stand langsam auf. Unsicher trugen meine Beine mich zu ihm. So wie ich griff er nach dem schmiedeeisernen Gatter am Fuß der Treppe. Einige Sekunden lang schauten wir uns einfach nur an, unsere Finger berührten sich.
»Rory …« Er legte seine kalte Hand auf meine, die ich ihm sofort entziehen wollte. Doch dann wartete ich ab, was er zu sagen hatte. Wir standen so dicht voreinander, dass ich glaubte, er müsste meinen stockenden Atem hören.
»Ja?«, flüsterte
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