Vergiss das mit dem Prinzen: Roman (German Edition)
Tante Lyd schien tief und fest zu schlafen, sie atmete ruhig und gleichmäßig. Vorerst würde sie wohl kaum aufwachen.
Jim half mir, alles aufzuräumen, stellte eine Wasserflasche auf den Nachttisch und legte Tante Lyds Lesebrille griffbereit daneben.
Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass alles da war, was sie benötigte, schlichen wir auf Zehenspitzen aus dem Raum, um sie nicht zu wecken. Ich erklärte, ich könnte den Bus nehmen. Aber davon wollte Jim nichts hören. Er räumte die Sonntagszeitungen und eine halbleere Chipspackung vom Beifahrersitz seines Vans und entschuldigte sich mehrmals für die Unordnung.
»Also«, sagte er, während wir den Parkplatz der Klinik verließen.
»Also«, antwortete ich. Zum ersten Mal seit dem letzten Abend waren wir allein. Sollte ich das erwähnen?
»Also ist dein Ex zurückgekommen.« Jim starrte auf die Straße, wechselte die Fahrspuren, und der Van kämpfte sich bergauf. »Muss seltsam sein.«
»Ist es auch«, stimmte ich zu. Noch seltsamer fand ich es, mit einem Mann, den ich erst vor ein paar Stunden geküsst hatte, über Martin zu reden.
»Und, was soll daraus werden?«
»Keine Ahnung. Er will, dass wir wieder zusammenleben.«
»Und was willst du ?«
Ich schaute aus dem Seitenfenster und sah zwei kleine Mädchen, die ihre Tretroller den Hang hinaufschoben und sich angestrengt vorbeugten. Was wollte ich?
»Es ist genau das, was ich die ganze Zeit geglaubt habe zu wollen«, hörte ich mich sagen.
Jim schwieg eine Weile. »Oh?«, fragte er schließlich.
»Jedenfalls wollte ich das kurz nach unserer Trennung.« Ich wickelte eine meiner Locken um meine Finger. »Jetzt weiß ich es nicht mehr.«
»Wie lange wart ihr zwei zusammen?«
»Elf Jahre.«
Jim pfiff durch die Zähne. »Ziemlich lange. Liebst du ihn noch?«
Ich dachte eine Sekunde lang darüber nach. »Ich denke schon.« Bizarr, dieses Gespräch, ausgerechnet mit Jim … Aber es fiel mir erstaunlich leicht, mit ihm über solche Dinge zu reden. Vielleicht, weil er, im Gegensatz zu Ticky, keine Begeisterung für dramatische Schicksale zeigte. Und vermutlich war es ohnehin einfacher, mit fast Fremden offen zu reden, als mit Leuten, die einem näher standen.
»Wirklich?«, fragte Jim. Es schien ihn zu überraschen.
»Gefühle kann man nicht wie einen Lichtschalter ausknipsen. Aber ich weiß nicht, wie viel davon nur nostalgische Sehnsucht ist, die Erinnerung an unser gemeinsame Zeit – oder ob es wirklich Gründe gibt, weshalb ich Martin eine zweite Chance geben sollte.«
»Hm … Was sagt deine Tante dazu? Sicher hat Lydia eine glasklare Meinung.«
»Komischerweise nicht.« Ich schob die Locke hinter mein Ohr. »Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie mir Martin ausreden würde. Stattdessen hat sie von Leuten geredet, die sich ändern.«
»Glaubst du denn wirklich, dass sich ein Mensch ändern kann?« Diese Frage hatte ich auch meiner Tante gestellt.
»Jetzt schon.« Ich dachte an Tante Lyd und mich selbst. Hatte sich auch Martin geändert?
»Nun, das klingt, als hättest du dich schon entschieden«, meinte Jim und stoppte den Van vor einer roten Ampel.
»Tatsächlich?« Ich fühlte mich weiter denn je von einem Entschluss entfernt, und meine Verwirrung wuchs.
»Hör dir doch selber zu. Du warst elf Jahre lang mit Martin zusammen, du liebst ihn immer noch, und du glaubst, ein Mensch könnte sich ändern. Was hält dich zurück?«
Ich schaute ihn an, aber er starrte beharrlich geradeaus. Wieso diskutierten wir nur über Martin und mich – und erwähnten mit keinem Wort, was gestern in der Küche zwischen uns geschehen war? »Jim, gestern Abend …«
»Vergiss es.« Er gab Gas, und wir überquerten die Kreuzung. »Zu viel Wein. Und du warst sehr emotional.«
»Nein, ich …«
»Denk in Ruhe über deine Beziehung zu Martin nach«, unterbrach er mich. »Das bist du dir selber schuldig. Ein besoffener Kuss darf dich nicht von einer Entscheidung ablenken, die dein ganzes Leben betrifft.«
Ein besoffener Kuss. Klar, mehr steckte nicht dahinter. Aber musste er es so unromantisch formulieren? Nicht einmal im Traum hatte ich mir eine Beziehung zu Jim vorgestellt. Trotzdem hätte er sein Desinteresse an mir nicht so deutlich zeigen müssen. Jetzt kam er mir wie ein Kandidat von »DasGlückMeinerFreundin.com.« vor.
»Du hast im Moment einige Probleme, Rory. Das ist alles, was ich sagen will.« Ohne den Motor auszuschalten, hielt er mitten auf dem Elgin Square.
»Kommst du nicht mit rein?«
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