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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Matson
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Mutter war in der Küche am Telefon, und als sie mich kommen sah, legte sie wütend auf.
    »Wo warst du denn?«, fuhr sie mich an. Sie war ganz rot im Gesicht, und aus ihrer Miene sprach Angst und Wut zugleich.
    Ich schluckte und dachte an die vielen Anrufe, die ich in der Annahme, dass es nur Gelsey war, einfach ignoriert hatte. Eine schreckliche Ahnung beschlich mich. »Hm«, machte ich und mein Herz fing an zu hämmern. Was ging hier nur vor? »Ich war in der Stadt und hatte das Telefon nicht an. Was ist denn passiert?«
    »Dein Vater …«, fing Mom an, aber ihr versagte die Stimme. Sie wandte sich halb von mir ab und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Es geht ihm nicht gut. Ich bringe ihn in die Klinik in Stroudsburg, um zu sehen, was sie dort sagen.«
    »Was ist los mit ihm?«, brachte ich heraus, obwohl meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern hergab.
    »Weiß ich doch nicht!«, fuhr sie mich an. »Tut mir leid«,entschuldigte sie sich gleich darauf etwas ruhiger. »Ich bin einfach …« Sie sprach nicht zu Ende und machte nur ein paar hilflose Gesten.
    »Wo ist Gelsey?«, fragte ich und sah mich um, als ob sie plötzlich sichtbar werden und einfach auf dem Sofa sitzen würde, während das alles passierte. »Und Warren?«
    »Deine Schwester ist nebenan bei Nora«, sagte meine Mom. »Und Warren wollte mit Wendy irgendwohin. Ich hab ihn nicht erreicht.«
    »Okay«, sagte ich und zwang mich, zweimal tief durchzuatmen. »Was kann ich tun?«
    »Hilf bitte deiner Schwester«, antwortete meine Mom, und ich schämte mich, dass ich den ganzen Nachmittag versucht hatte, genau dem aus dem Weg zu gehen. »Und sag ihr bitte nichts davon, dass wir in die Klinik gefahren sind. Sie freut sich so auf heute Abend. Ich sag’s ihr, wenn ich wieder da bin.«
    Ich spürte, wie es mir beim Klang des Personalpronomens in der Einzahl den Atem verschlug. »Aber Dad kommt doch auch wieder, ja?«, fragte ich zögernd.
    Meine Mutter zuckte die Schultern, ihr Kinn zitterte, und mir krampfte sich der Magen zusammen. Für einen Moment presste sie sich die Hände auf die Augen und holte tief Luft. Als sie weitersprach, war sie wieder gefasster und machte sich nüchtern ans Organisieren. »Du musst mir dabei helfen, Dad ins Auto zu bringen«, sagte sie. »Und dann bleib bitte entweder hier oder lass dein Telefon an, falls es was Neues gibt.« Ich nickte und spürte eine zweite Welle von Schuldgefühl, weil ich absichtlich den ganzen Nachmittag lang mein Handy ignoriert hatte. »Und außerdem«, fügte meine Mutter hinzu, wobei sie sich auf die Lippe biss, »müsstest du bitte deinen Großvater anrufen.«
    »Oh.« Das hatte ich nicht erwartet. »Geht klar. Und warum?« Der Vater meines Vaters war ein ehemaliger Marineoffizier, der jetzt an der Militärakademie der USA in West Point, New York, unterrichtete und mich immer ein bisschen an Kapitän von Trapp aus dem Film Meine Lieder – Meine Träume erinnerte, nur nicht so unbekümmert und ohne dessen ausgeprägten Hang zu Blumenliedern. Ich hatte immer Angst vor ihm und die wenigen Male im Jahr, die wir uns sahen, wussten wir kaum, worüber wir miteinander reden sollten.
    »Er wollte wissen … wann der Punkt erreicht ist«, sagte meine Mutter. »Damit er kommen und sich verabschieden kann.«
    Ich nickte, fühlte mich aber, als hätte ich gerade einen Schlag in die Magengrube bekommen. »Welcher Punkt?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich nicht hören wollte, denn ich fürchtete, dass ich sie sehr wohl kannte.
    »Er wollte kommen«, erklärte meine Mutter ganz langsam, als ob sie über jedes Wort nachdenken musste, bevor sie es aussprach, »solange dein Vater noch mitbekommt, was passiert. Wenn er noch … anwesend ist.«
    Ich nickte wieder, aber eigentlich nur deshalb, damit ich etwas zu tun hatte. Ich konnte nicht glauben, dass ich keine halbe Stunde zuvor noch Buttercreme genascht und mit Henry rumgeknutscht hatte. »Ich ruf ihn an«, sagte ich, wobei ich versuchte, souverän und gefasst zu klingen, und nicht so, wie ich mich fühlte – das komplette Gegenteil davon.
    »Gut.« Mom legte mir ganz kurz die Hand auf die Schulter, und im nächsten Moment war sie weg. Sie ging die Treppe hoch und rief meinem Vater etwas zu.
    Eine Viertelstunde später halfen ihm meine Mutter und ich die Treppe hinunter, indem wir ihn jeweils am Arm nahmen und danach auf den Rücksitz ins Auto setzten. Im Vergleich zum Vormittag war mein Vater nicht wiederzuerkennen. Seine Haut hatte

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