Vergiss den Sommer nicht (German Edition)
würde sich anfühlen, wie wenn man ein Pflaster abreißt – zuerst schmerzhaft, aber letztendlich besser für alle.
Ich holte tief Luft und schrieb ihm eine SMS, in der ich ihn bat, sich mit mir auf dem Steg zu treffen.
Henry kam lächelnd auf mich zu, und obwohl ich am liebsten weggeschaut hätte, zwang ich mich, ihm entgegenzusehen, damit ich mich später erinnern konnte, wie er aussah, wenn er sich freute, mich zu sehen. Denn ich hatte das Gefühl, dass es gerade das letzte Mal war.
»Hi«, rief er, als er den Steg erreichte. Seine Hand war meiner entgegengestreckt, als er auf mich zuging und offenbar erwartete, dass ich ihm auf halber Strecke entgegenkam. Doch ich rang meine Hände hinter dem Rücken und wich einen kleinen Schritt zurück, während ich in Gedanken noch einmal die Liste der Gründe durchging, weshalb ich das hier tun musste. Henrys Lächeln gefror ein wenig und eine Augenbraue hob sich. »Alles okay?«
»Ich denke, wie müssen damit aufhören«, platzte ich heraus, und im selben Moment fiel mir ein, dass ich ihm meinen Vorschlag, einfach nur Freunde zu sein, auf die gleiche Weise präsentiert hatte. Aus irgendeinem Grund musste er etwas an sich haben, das es mir unmöglich machte, ein Thema besonnen anzusprechen. Als Henry mich verwirrt ansah, holte ich weiter aus: »Du und ich. Was da zwischen uns läuft. Wir sollten das sein lassen.«
Henry sah mich sehr lange an und ließ seinen Blick über den See schweifen. Als er mich wieder anschaute, lag ein gequälter Ausdruck auf seinem Gesicht, den ich kurz vorher noch nicht wahrgenommen hatte. »Warum denn?«, wollte er wissen. Es war eine vorsichtige Frage, keine Forderung nach einer Erklärung, obwohl er natürlich einen Anspruch darauf hatte. »Was ist los, Tay?«
Wenn ich ihn belog, würde er das spüren, das wusste ich. Außerdem hatte er das nicht verdient. »Ich muss im Moment«, fing ich an, nachdem ich tief Luft geholt hatte, »bei meiner Familie sein. Und es ist nicht fair, von dir zu erwarten, dass du geduldig wartest, während ich das hier durchziehe.«
»Ich soll mich also einfach verdrücken?«, fragte Henry gleichermaßen verblüfft wie verletzt. »Meinst du das?«
»Ich will doch nur nicht, dass du …«, fing ich an.
»Taylor«, sagte Henry und trat einen Schritt auf mich zu. Plötzlich stand er direkt vor mir, ganz nah, so nahe, dass ich mich hätte an ihn lehnen und ihn küssen können, ihn umarmen, all die Dinge tun, die ich eigentlich tun wollte. »Mach dir um mich bloß keinen Kopf. Ehrlich.«
Es war unendlich schwer, nahezu unmöglich, aber ich zwang mich, einen Schritt von ihm wegzugehen. »Ich kann im Moment einfach nicht mit dir zusammen sein«, sagte ich. »Mit niemandem«, stellte ich hastig klar, nicht dass er vielleicht dachte, dass ich plötzlich eine unerwartete Leidenschaft für Leland entwickelt hatte. »Ich denke einfach, dass es so das Beste ist.«
»Okay«, sagte Henry. Er sah mich ganz ruhig an. »Aber wir können immer noch Freunde sein, ja?«
Ich schluckte schwer und schaffte es, den Kopf zu schütteln. Ich wusste, dass ich nicht in der Lage sein würde, ihn nicht küssen und bei ihm Trost suchen zu können, wenn er in meiner Nähe war. »Nein«, flüsterte ich.
Da veränderte sich Henrys Miene und zum ersten Mal in diesem Gespräch wirkte er gereizt. »Kickst du Lucy dann auch raus, ja?«, fragte er. Statt einer Antwort starrte ich wortlos auf die Planken unter unseren Füßen. »Ich verstehe nur nicht«, wandte er etwas ruhiger ein, »wieso ich hier der Einzige bin, den du in die Wüste schickst.«
Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte, wie ich ihm die Wahrheit erklären sollte – dass ich spürte, wie ich mich immer mehr in ihn verliebte und dass ich gerade dabei war, einen geliebten Menschen zu verlieren. Und dass es immer schwerer wurde, ihn zu verlieren, je näher wir uns kamen. »Tut mir leid«, flüsterte ich. »Aber du verstehst einfach nicht, wie das ist und …«
»Doch«, sagte er, sodass ich zu ihm aufschauen musste. »Meine Mutter ist nicht mehr da, und …«
»Aber sie ist nicht tot«, erwiderte ich scharf. »Du könntest mit ihr reden, wenn du willst. Du kannst sie suchen. Sie ist nicht unwiederbringlich weg. Du kannst noch etwas tun.« Henry wich ein Stück von mir zurück. Es war, als ob ich ihn geohrfeigt hatte. »Entschuldige«, sagte ich gleich darauf, und ich wusste, dass ich zu weit gegangen war.
Henry atmete tief durch und sah mich wieder an. »Ich
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