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Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Vergiss den Sommer nicht (German Edition)

Titel: Vergiss den Sommer nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Morgan Matson
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und dann saßen wir dort stundenlang mit den Füßen im Wasser und redeten. Sie war nach wie vor blind gegenüber Elliots Verknalltsein, aber sie hatte auch Brett abgeschrieben, nachdem er ihr aus Versehen per SMS eine Sex-Verabredung geschickt hatte, die eigentlich für eine gewisse Lisa gedacht war. An einem Samstag trafen wir uns alle um Mitternacht am Strand – Henry, Elliot, Leland, Lucy und ich. Die beiden anderen Rettungsschwimmer, Rachel und Ivy, hatten uns ein paar Sixpacks ausgegeben, weil Leland für sie mehrere Dienste übernommen hatte, und damit feierten wir am dunklen, menschenleeren Strand. Wir schwammen im nächtlichen See und spielten das Trinkspiel »Ich hab noch nie«, wobei sich herausstellte, dass Lucy fast alles schon durch »hatte«. Als es langsam wieder hell wurde, setzte ich mich mit zusammengedrehten, feuchten Haaren bei Henry auf den Fahrradlenker, schloss die Augen und spürte den Wind in meinem Gesicht, während er mich – wie schon so oft – nach Hause brachte.
    Trotzdem blieben Partys am Strand oder Abende mit Lucy eher die Ausnahme. Wenn ich mich davonschlich, dann meistens in Richtung Nachbarhaus. Inzwischen wusste ich, wo Henrys Zimmer war, und er kannte meins. Zum Glück lagen beide im Erdgeschoss. Mittlerweile hatte ich einige Übung darin, mich zu seinem Haus zu schleichen und leise mit den Fingerspitzen bei ihm an die Fensterscheibe zu trommeln. Dann kam Henry raus, und wir gingen entweder zusammen zum Steg oder – wenn er genau wusste, dass Maryanne weggefahren war – zu seinem alten Baumhaus. Immer nach einem besonders schlechten Tag mit meinem Vater musste ich zu Henry. Es war so schrecklich, was mit meinem Vater geschah – und dass ich nichts dagegen tun konnte, machte alles noch viel schlimmer. In dem Maße, wie sich sein Zustand verschlechterte, ersetzte immer wieder eine neue Version von ihm die vorherige, und ich konnte mich kaum erinnern, wann er noch nicht den ganzen Tag nur noch in Schlafanzug und Bademantel gekleidet war, wann ihm das Essen noch keine Probleme bereitet hatte, wann seine Hände noch nicht gezittert hatten, wenn sie Nahrung in seinen Mund befördern sollten, wann er beim Versuch zu schlucken noch nicht husten musste. Und wann er noch keine Unterstützung beim Gehen, Sitzen und Treppensteigen gebraucht hatte, sondern derjenige war, der unsere schweren Kisten schleppte, sich Gelsey wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter warf und mich als müdes Kleinkind nach einer langen Autofahrt ins Haus trug. Es fiel mir immer schwerer, mich daran zu erinnern, wie er die Woche zuvor gewesen war, ganz zu schweigen von vier Monaten zuvor, als alles scheinbar noch in Ordnung war.
    Inzwischen schlief er morgens lange, trotzdem wachte ich um acht auf, irgendwie in der Erwartung, dass er da wäre, mich an den Füßen kitzelte und mich antrieb, weil wir Pancakes frühstücken gehen wollten. An meinen freien Tagen fuhr ich immer noch zu unserem Frühstücksrestaurant, bestellte unser Essen zum Mitnehmen und brachte es zu ihm nach Hause. Aber nachdem sein Frühstück dreimal hintereinander unangetastet im Styroporbehälter auf dem Küchentisch stehen geblieben war, gab ich es irgendwann auf.
    Nach besonders schlimmen Abenden – wenn er meine Mutter angeherrscht und gleich darauf so reuevoll angesehen hatte, als ob er den Tränen nahe war – machte ich mich auf den Weg zu Henry, sobald bei uns im Haus alles ruhig war und alle schliefen. Trotz unseres Gesprächs im Ruderboot wollte ich meistens nicht über das sprechen, was passiert war, obwohl er mir immer Gelegenheit dazu gab. Meistens wollte ich einfach nur seine Arme um mich spüren, fest und zuverlässig, während ich versuchte, die Gefühle auszublenden, die mir mit tausend Nadeln ins Herz stachen, was irgendwie fast schlimmer war, als wenn es einem auf einen Schlag gebrochen wurde.
    Immer wenn es zu Hause ganz schwierig wurde, wusste ich, dass nicht weit von mir, gleich nebenan, das Glück auf mich wartete. Doch jedes Mal, wenn ich solche Glücksmomente erlebte – mit Lucy lachte, Henry küsste, mit einer miserablen Armee Asien eroberte –, wurde ich schnell wieder wachgerüttelt, weil ich genau wusste, dass etwas Schlimmes im Anmarsch war und ich eigentlich kein Recht hatte, mich zu amüsieren, während mein Vater so etwas durchmachen musste. Und über allem lag das bange Wissen, dass schon bald alles ganz anders sein würde.
    »Und hier«, sagte Henry und legte mir den Arm um die Taille, »wird

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